Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 03

zm 108, Nr. 3, 1.2.2018, (204) Ernst Jessen wurde am 19. April 1859 in Twedt bei Flensburg geboren. Sein Vater Friedrich Wilhelm Jessen war Gutsverwalter, seine Mutter Sophie Dreyer die Tochter eines benachbarten Gutsbesitzers [Parreidt, 1909; Einfeldt, 1959; Holzhauer, 1962]. Um 1861/62 zog die Familie ins dänische Brenöre. Später wechselte Jessen nach Hadersleben, um dort das Gymnasium zu besuchen. Nach dem Abitur schrieb er sich 1879 in Kiel für Medizin ein. Doch nach zwei Semestern zog es ihn an die Universität Tübingen. Zunächst setzte er dort seine medizinischen Studien fort, entschloss sich aber um 1883 zu einem Wechsel in die Zahnheilkunde. Da es in diesem noch nicht akademisierten Fach vielerorts kein univer- sitäres Lehrinstitut gab, erlernte er die prak- tische Zahnheilkunde vornehmlich bei dem niedergelassenen Zahnarzt Dr. med. Carl Wilhelm Fricke [Einfeldt, 1959]. Mit Fricke hatte er zugleich einen angesehenen Mentor gewonnen: Von 1889 bis 1891 war jener Vorsitzender des „Central-Vereins deutscher Zahnärzte“ (CVdZ) und nahm in dieser Funktion maßgeblichen Einfluss auf die Standespolitik [Groß/Schäfer, 2009]. 1884 erwarb Jessen in Tübingen die zahnärzt- liche Approbation und promovierte dort im selben Jahr mit der Arbeit „Photometrie des Absorptionsspectrums der Blutkörperchen“ [Jessen, 1884]. 1885 zog er nach Straßburg, wo er sich rasch um Kontakte zur Universität bemühte. In seiner neuen Heimat hielt Jessen von Anfang an in seiner Privatwohnung Privat- kurse über Zahnheilkunde ab. Und er gründete mit seiner Ehefrau Berta eine Familie: In der Folgezeit kamen die Söhne Fritz, Ernst und Paul auf die Welt [Einfeldt, 1959]. 1887/88 habilierte Jessen sich in Straßburg als erster Zahnarzt. Seine Habilitationsschrift beschäftigte sich mit der Anästhesie im Rah- men der Zahnextraktion, sein Habilitations- vortrag mit der „Diagnose und Therapie der Pulpitis“ und seine Probevorlesung mit dem „Ersatz von Gaumendefekten“. Als Privat- dozent erteilte er zahnärztlichen Unterricht in der Medizinischen Poliklinik. 1893 wurde dann Jessens Privatpraxis am Broglieplatz vom Staat übernommen und als Lehreinrichtung im Universitätsverzeichnis geführt. Diese „Poliklinik für Zahnkrankheiten“ erhielt 1897 eigene Räume – Straßburg somit ein offizielles zahnärztliches Universitätsinstitut [Einfeldt, 1959]. Schon zwei Jahre zuvor, 1895, hatte sich Jessen erstmals an das Bürgermeisteramt in Straßburg gewandt und in Anbetracht des maroden Zustands vieler kindlicher Gebisse vorgeschlagen, die ortsansässigen Volks- schulkinder regelmäßigen zahnärztlichen (Kontroll-)Untersuchungen zu unterziehen. Er erntete zunächst Verständnislosigkeit, ließ sich jedoch nicht entmutigen, sondern intensivierte gar seine Bemühungen. Schließlich willigte die Schulbehörde 1898 ein, die rund 16.000 Kinder im Volksschul- alter einmal im Jahr zur Untersuchung und gegebenenfalls auch zur Behandlung in die zahnärztliche Poliklinik zu schicken [Einfeldt, 1959; Holzhauer, 1962; Groß, 1994 und 1999]. Schnell war klar, dass Jessen diese Aufgabe nicht allein bewältigen konnte, wollte er nicht auf seine Tätigkeit als Dozent und die Ausübung einer einträglichen Pri- vatpraxis verzichten. Also bemühte er sich bei der Schulbehörde um die Erlaubnis, einen Mitarbeiter anstellen zu dürfen. Am 25. Juli 1900 bewilligte ihm der Straßburger Gemeinderat einen jährlichen Betrag von 600 Mark. Mit dieser Summe konnte man aber keinen approbierten Zahnarzt anstellen. Daher beschäftigte Jessen einen Kandidaten der Zahnheilkunde als Unter- assistenten, so dass die Oberaufsicht und die Verantwortung für die Untersuchungen weiterhin bei ihm selbst lagen [Einfeldt, 1959]. Damit schien die Durchführung der Schulzahnpflege möglich. Zahnpflege muss planmäßig erfolgen ... Doch Jessen hatte den Widerstand einiger Lehrer unterschätzt. Sie sahen ihren Unter- richt durch die neue Initiative gestört. Jessen reagierte mit dem Vorschlag, den Kindern den aufwendigen Weg in die Behandlungs- räume zu ersparen und stattdessen mit einem Untersuchungsset in die Schulen zu kommen. Zudem überließ er den Eltern die Entscheidung, für die eigentliche Behandlung ihrer Kinder einen Zahnarzt ihres Vertrauens vorzuziehen oder seine Klinik aufzusuchen. Hier offen- barte sich allerdings das nächste Problem: Die Poliklinik war auf erwachsene Patienten ausgerichtet und die zunehmende Behand- lung von Kindern ließ sich mit einer effektiven Klinikführung kaum vereinbaren [Einfeldt, 1959; Holzhauer, 1962]. Also bemühte sich Jessen in Straßburg um die Etablierung einer Schulzahnklinik – ein Unterfangen, das nur mit Rückendeckung der Stadtverwaltung zu Wegbereiter der Zahnheilkunde – Teil 10 Ernst Jessen – Begründer der Schulzahnpflege Ernst Jessen etablierte gegen den Widerstand der Behörden die zahnärztlichen (Kontroll-)Untersuchungen bei Schülern und Kindergartenkindern. Er verfasste zahlreiche Beiträge zur Schulzahnpflege und engagierte sich standespolitisch – zwischenzeitlich leitete er die ständige Hygiene-Kommission in der FDI. Eine nach ihm benannte Medaille wird nicht mehr verliehen. Was bleibt, ist der Ernst-Jessen-Weg, der von Windloch nach Twedt führt. Foto: Einfeldt 1959 Der QR-Code führt zu den anderen Teilen der Serie „Wegbereiter der Zahnheilkunde“. 84 Gesellschaft

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