Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 06

zm 108, Nr. 6, 16.3.2018, (605) als schriftliche Promotionsleistung an [Wolf, 1981]. In der Nachkriegszeit wurde er auf- grund seiner wegweisenden Arbeiten zur Lokalanästhesie zu einer international ange- sehenen Persönlichkeit des Faches: Er be- reiste insbesondere in den 1920er-Jahren viele Staaten, darunter auch die USA, wo er in Washington sogar dem damaligen US- Präsidenten Woodrow Wilson (1913–1921) vorgestellt wurde. Besondere Anerkennung fand der von Fischer erstellte Lehrfilm „Kie- feroperationen in Lokalanästhesie“ (1914), den er anlässlich seiner Vortragsreisen vor- führte – es handelte sich hierbei um den ersten Lehrfilm in der Geschichte der Zahn- heilkunde [Korkhaus, 1952/53; Wolf, 1981]. Ehrenmitglied in Argentinien, der Sowjetunion, den USA ... 1923 wurde Fischer in Moskau im Rahmen des ersten „Allrussischen Odontologischen Kongresses“ zum Ehrenmitglied der sowje- tischen Zahnärzteschaft ernannt. Auch am zweiten Allrussischen Kongreß (1925) nahm Fischer als Ehrengast teil. Insgesamt wurde er in den Jahren 1914 bis 1933 von zahnärztlichen Vereinigungen in Chicago (1914), New York (1923), Zürich (1923), Dänemark (1928), Washington (1929), Tokio (1930), New York (1930), Buenos Aires (1932) und Ungarn (1933) die Ehren- mitgliedschaft angetragen [Wolf, 1981]. Das Jahr 1934 wurde dann zu einem Wendepunkt in Fischers Karriere: Es brachte seine Abberufung und Zwangsemeritierung durch die Nationalsozialisten. Obwohl Fischer 1932 in die NSDAP eingetreten war, geriet er bald in den Fokus der Partei. So wurden ihm unter anderem kommunistische bezie- hungsweise prorussische Aktivitäten, aber auch die Zweckentfremdung von Instituts- mitteln vorgeworfen. Es folgte eine gezielte Indiskretion: Fischer hatte sich gegenüber amerikanischen Kollegen über besagte An- griffe ausgelassen. Seine Äußerungen wur- den jedoch in der US-amerikanischen Fach- zeitschrift „Oral Hygiene“ abgedruckt und somit öffentlich gemacht, was Fischer den Vorwurf des Landesverrats einbrachte. Es folgten der Parteiausschluss und schließlich am 30. Juni 1934 die Zwangsversetzung in den Ruhestand [van den Bussche, 1989]. Bis zum Zusammenbruch des „Dritten Reichs“ 1945 war Fischer jede Möglichkeit der wissenschaftlichen Veröffentlichung unter- sagt. In dieser Situation eröffnete Fischer in München eine Privatpraxis, verbrachte aber bald einen erheblichen Teil seiner Zeit an seinem Privatwohnsitz in Berg am Starn- berger See, wo er sich ausgedehnt mit For- schungsfragen beschäftigte [Wolf, 1981]. Für die Nazis war er ein „Landesverräter“ Noch dramatischer verlief unterdessen das Schicksal seines jüdischen Weggefährten Hans Moral: Auch Moral war in den 1920er-Jahren aufgrund seiner Beiträge zur Lokalanästhesie ein international gefragter und weit gereister Referent. Auch er wurde zwangsemeritiert (1933). Allerdings sah Moral für sich keine Zukunft mehr und setzte seinem Leben noch im selben Jahr ein Ende [Groß, 2017]. Fischer reagierte auf Morals Suizid nach eigenem Bekunden mit Entsetzen. So schrieb er in einer autobiografischen Skizze: „Erschüttert erhielt ich 1933 die Nachricht von seinem Freitod, der durch die verbrecherische Verfolgung des Hitler-Regimes ausgelöst wurde. Sein jüdischer Stolz war zu sehr gekränkt als dass er die Diffamierung seiner Glaubensgenossen überleben konnte.“ [zitiert nach: Wolf, 1981]. Nach Kriegsende kam Fischer für die Rückkehr auf einen Lehrstuhl schon aus Altersgründen nicht mehr infrage. Dessen ungeachtet stellte er einen Antrag auf Wiedergutmachung als politisch Verfolgter – allerdings ohne er- kennbaren Erfolg [van den Bussche, 1989]. Zudem wurde seine 1915 publizierte Schrift „Die erste zahnärztliche Hilfe im Felde“ [Fischer, 1915] im Jahr 1948 in der Sowjetischen Besatzungszone auf die Liste der auszuson- dernden Literatur gesetzt [Liste, 1948]. Doch mit der Zeit gelang Fischer eine gewisse fachliche und öffentliche Rehabilitierung: 1951 wurde er im Alter von 74 Jahren zum Ehrenmitglied der „Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde“ er- nannt und 1955 folgte die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft durch das „Deutsche Institut für Kariesforschung“ in Mainz [Groß/Schäfer, 2009; Wolf, 1981]. Auch publikatorisch trat er nun wieder nach- drücklich in Erscheinung: In den Jahren 1949 bis 1958 veröffentlichte er bemerkens- werte 62 Beiträge, darunter auch die viel- beachteten Monografien „Normale und pathologische Biologie des Zahnsystems [Fischer, 1953], die „Biologie der Pulpa des menschliches Zahnes“ [Fischer, 1955b] sowie „Die Mundflora im Lichte neuer Erkenntnisse“ [Fischer/Santo, 1955], die eigentlich Auftakt einer neuen Buchreihe zur biologischen Forschung in der Zahnheil- kunde werden sollte. 1956 erlitt er jedoch einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr vollständig erholte. Er starb am 22. Dezember 1959 in Berg [Wolf, 1981]. Hans Moral und Guido Fischer gelten gemeinsam als Entwickler der zahnärztlichen Lokalanästhesie. Fischer hat sich darüber hinaus durch zahlreiche Beiträge um die frühe biologische und pathohistologische Forschung in der Zahnheilkunde verdient gemacht. Er hat zeit seines Lebens tausende histologische Zahnpräparate „der herrlichsten Schliffe und Schnitte mit wertvollsten Be- funden“ erstellt [Korkhaus, 1952/53]. Sein Œuvre umfasst insgesamt 237 veröffentlichte und vier unvollendete beziehungsweise un- veröffentlichte Schriften [Wolf, 1981]. Univ.-Prof. Dr. mult. Dominik Groß Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Medizinische Fakultät RWTH Aachen University, MTI II Wendlingweg 2 52074 Aachen dgross@ukaachen.de Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. 101

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