Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 06

zm 108, Nr. 6, 16.3.2018, (586) Trotz der in der Öffentlichkeit immer wieder aufkommenden Kinderschutzproblematik in Fällen von Misshandlung und Vernachlässi- gung gibt es kein ausreichendes Angebot an Fortbildungen zu diesem Thema innerhalb der Zahnmedizin. Bei der Analyse von Studien in anderen Ländern stellt man fest, dass auch international eine große Unsicherheit zu diesem Thema herrscht [Cairns et al., 2005; Kilpatrick et al., 1999; Sonbol et al., 2012; Uldum et al., 2010]. Dass es notwendig ist, Zahnärzte über die Anzeichen einer möglichen Kindes- vernachlässigung oder -misshandlung zu informieren und im Erkennen solcher Fälle zu befähigen, zeigt schon der Umstand, dass ein Zahnarzt von Tätern wie Opfern meist beibehalten, ein Kinderarzt dagegen häufiger gewechselt wird [Rötzscher und Hutt, 2010]. Was genau muss man sich unter dem Begriff „Kindesmisshandlung“ vorstellen – und was kann der Zahnarzt erkennen? Neben der (mitunter offensichtlichen) körperlichen Misshandlung sind es sexueller Missbrauch, die psychische Misshandlung, das „Munch- hausen by proxy“-Syndrom [Amelang und Krüger, 1995] und in passiver Form die Ver- nachlässigung [Brinkmann und Madea, 2004]. Zahnarzt bittet um Hilfe bei seiner Dissertation Erkennen Sie Kindesmisshandlung und -vernachlässigung? Sexuelle und psychische Misshandlungen können vom zahnmedizinischen Fach- personal wohl nur schwer eingeschätzt werden. Sehr wohl dagegen körperliche Misshandlungen, die mit einem in vielen Fällen beschriebenen Anteil von circa 50 Prozent im orofazialen Bereich lokalisiert sind [Needleman, 1986]. Die häufigsten Folgen einer physischen Misshandlung sind Weichteilverletzungen, zum Beispiel der Riss des Oberlippenbändchens oder isolierte Verletzungen der Oberlippe [Needleman, 1986]. Auch Zahntraumata und Kiefer- frakturen konnten im Rahmen von Kindes- misshandlung beobachtet werden [Kellogg et al., 2005]. Beim „Munchhausen by proxy“-Syndrom ist eine Misshandlung weniger offensichtlich erkennbar, da die fürsorgeberechtigte Per- son hier artifiziell Symptome von Krank- heiten beim Kind hervorruft, um selbst als Leidtragende der Krankheit des Kindes dazustehen [Chan et al., 1986; Levin und Sheridan, 1995; Schmitt, 1986]. Was versteht man unter „Misshandlung“? Am schwierigsten ist die Vernachlässigung als eine „passive“ Form der Misshandlung erkennbar. Eine passende Definition der ins- besondere für die Zahnmediziner relevanten Vernachlässigung als Form der Misshand- lung, wurde von der American Academy of Pediatric Dentistry publiziert: „Dental neglect […] is the willful failure of parent or guardian to seek and follow through with Nicht immer sind die Anzeichen körperlicher Misshandlungen eindeutig zu identifizieren, eine Dissertation will den Wissensstand von deutschen Zahnärzten untersuchen. Foto: picture-alliance_Helga Lade Sebastian Fox Der Riss des Oberlippenbändchens, Zahntraumata oder Kieferverletzungen können Anzeichen für körperliche Misshandlungen sein – doch kennen Sie auch die Symptome, die für eine Vernachlässigung typisch sind? Zahnarzt Sebastian Fox hat für seine Doktorarbeit einen Fragebogen entwickelt, der den allgemeinen und den speziellen Ausbildungsstand von Zahnmedizinern zu Kindesmisshandlung und -vernachlässigung erhebt. 82 Praxis

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