Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 07

zm 108, Nr. 7, 1.4.2018, (734) Der jüdische Zahnarzt Alfred Kantorowicz wurde am 18. Juni 1880 im preußischen Posen geboren – als Sohn des Fabrikanten Wilhelm Kantorowicz und dessen Frau Rosa Kantorowicz, geb. Gieldzinsky [Doyum, 1985; Depmer, 1993; Litten, 2016]. 1884 zog die Familie nach Berlin. Hier besuchte der junge Alfred das Gymnasium, das er jedoch bereits nach der Mittleren Reife verließ. Ebenfalls in Berlin nahm er das Studium der Zahn- medizin auf, das bis 1909 noch nicht an den Nachweis des Abiturs gebunden war. Am 17. Dezember 1900 nahm er die zahnärzt- liche Approbation entgegen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er allerdings bereits den Entschluss gefasst, Arzt zu werden. Dies hatte zur Konsequenz, dass er zunächst das Abitur nachholen musste. Tatsächlich konnte er 1902 am Luisengymnasium in Berlin die Hochschulreife erlangen. Nach einem zwischenzeitlichen Studienaufenthalt in München legte er im Juli 1905 in Freiburg das medizinische Staatsexamen ab. Noch im selben Monat promovierte er zum Dr. med. mit der Arbeit „Kritik der neuen Methoden der Perkussion“ [Kantorowicz, 1905] und erhielt im Folgejahr die ärztliche Approbation [Depmer, 1993; Litten, 2016]. Seine Assistentenzeit absolvierte er am Virchow-Krankenhaus in Berlin und an der Chirurgischen Universitätsklinik in Bonn, bevor er 1909 zu Otto Walkhoff ans Zahnärztliche Institut der Universität München wechselte. Damit verbunden war die Entscheidung, sich doch der aufstrebenden Zahnheilkunde zuzu- wenden. Nach einem Intermezzo in Göttingen, wo er sich im Dezember 1911 für das Fach Zahnheilkunde habilitierte, kehrte er nach München zurück und wurde dort im März 1912 zum Privatdozenten ernannt [Doyum, 1985; Depmer, 1993; Litten, 2016]. Im Ersten Weltkrieg war er zeitweise als Leiter der Zahnstation im Reservelazarett Hagenau im Elsass tätig. Für seinen Einsatz wurde er 1917 mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse aus- gezeichnet. Im April 1918 wurde Kantoro- wicz an der Universität Bonn zum „Lehrer der Zahnheilkunde“ ernannt. Damit ver- bunden war die Leitung des (privaten) Zahn- ärztlichen Instituts und der zugehörigen Schul- zahnklinik. In Bonn konnte er nun in kurzer Zeit zentrale akademische Karriereschritte durchlaufen: Bereits im Juni 1918 wurde ihm der Titel eines Professors verliehen, im Au- gust 1921 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt, im November 1921 erhielt er die Ernennung zum Direktor des zwischen- zeitlich verstaatlichten Zahnärztlichen Instituts. Im April 1923 wurde er schließlich zum ordent- lichen Professor und damit zum Lehrstuhl- inhaber befördert. Einen weiteren Karriere- höhepunkt in Bonn erreichte er 1926: Ihm wurde der zahnärztliche Ehrendoktortitel („Dr. med. dent. h. c.“) verliehen [Doyum, 1985; Depmer, 1993; Litten, 2016]. Doch spätestens mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten verdüsterte sich die Zukunft des Sozialdemokraten: Aufgrund vermeintlicher „kommunistischer“ Aktivitäten und seiner jüdischen Herkunft wurde Kanto- rowicz im Herbst 1933 entlassen. Rechtliche Grundlage hierfür war das „Gesetz zur Wieder- herstellung des Berufsbeamtentums“. Die Bonner Fakultät ließ in dieser Situation jede Solidarität vermissen. Vielmehr musste Kan- torowicz erfahren, dass wichtige Kollegen ge- gen ihn agitierten. Besonders deutlich wird dies in einem Schreiben des Dekans Wilhelm Ceelen an die Fakultätskollegen. Darin hieß es am 27.12.1933: „Bei der Aufstellung einer Liste der seit 1918 ernannten Ehrendoktoren [...] wurde erstaunlicherweise festgestellt, dass Herr Professor Kantorowicz Ehrendoktor (Dr. med. dent. h. c.) der Bonner Medizinischen Fakultät ist. […] Da Herr Professor Kantorowicz am 3. Oktober 1933 von dem Herrn Minister aus dem Staatsdienst ohne Anspruch auf Ruhegehalt und auf Weiterführung der Amts- bezeichnung entlassen worden ist, der Haupt- grund für die Ehrenpromotion also hinfällig geworden ist, da Professor Kantorowicz fer- ner, wie es heisst, Deutschland verlassen hat, ohne […] Mitteilungen gemacht zu haben, besteht keine Veranlassung mehr, ihn unter den Ehrendoktoren der Fakultät weiter- zuführen. Ich werde ihn also aus der Liste streichen und ihm entsprechende Mittei- lung machen, sobald ich seine genaue An- schrift erfahren habe“ [Forsbach, 2006]. Zu- dem weisen die Zeilen darauf hin, dass die Fakultät schon die Ernennung von Kantoro- wicz zum Extraordinarius und Ordinarius abgelehnt habe. Tatsächlich war Kantorowicz im April 1933 in das Konzentrationslager Börgermoor (heutige Gemeinde Surwold, Niedersachsen) und nachfolgend in das KZ Lichtenburg in Prettin (Sachsen-Anhalt) gebracht worden. Auch wenn Kantorowicz Ende 1933 dank einer Intervention des schwedischen Kron- prinzen wieder entlassen werden konnte, war Wegbereiter der Zahnheilkunde – Teil 13 Alfred Kantorowicz – Wegbereiter der Jugendzahnpflege Alfred Kantorowicz (1880–1962) steht für die Entwicklung und Etablierung einer systematischen Jugend- und Schulzahnpflege, gilt als Initiator der zahnärztlichen Prophylaxe und leistete Pionierarbeit in der Diagnostik und Therapie von Kiefer- und Zahnfehlstellungen. Der QR-Code führt zu den anderen Teilen der Serie „Wegbereiter der Zahnheilkunde“ Foto: aus Doyum, 1985 102 Gesellschaft

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