Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 1-2

zm 111, Nr. 01-02, 16.1.2021, (34) D u putzt dir nichtsahnend die Zähne und bemerkst plötzlich, dass dein Zahnfleisch blutet. Bevor du jetzt ausflippst, beruhige dich! Wahrscheinlich ist die Sache gar nicht so dramatisch. Der Grund heißt in den meisten Fällen: Gingivitis.“ Dieses TikTok-Video des Kieferorthopäden Dr. Benjamin Winters vom 10. November 2020 hatte schon wenige Stunden nach Veröffentlichung mehrere hundert- tausend Klicks. Der 29-jährige Zahnarzt aus den USA ist seit dem 1. Januar 2019 Creator bei TikTok – so heißen Mitglieder, die Content veröffentlichen – und hat in dieser Zeit unter dem Namen @thebentist einen erfolgreichen Kanal aufgebaut. Im Februar 2020 folgten ihm bereits 2,6 Millionen Abonnenten, aktuell umfasst seine Community über 6,9 Millionen Menschen (alle Angaben Stand Dezember 2020). Bekannt ge- macht hat @thebentist eine Serie von Erklärvideos, die zeigen, wie man den Alltag mit Zahnspange meistert. Seine „Braces Life Hacks“ wurden millionen- fach geklickt. VON NULL AUF SCHLAU IN 60 SEKUNDEN Den zm sagt er: „TikTok ist eine tolle Plattform, um Gesundheitsinformatio- nen auf neue, lustige und interessante Weise zu verbreiten.“ Als Behandler habe er davon sehr profitiert: „Sind wir mal ehrlich: Zahnarztangst existiert und ist einer der Gründe, warum viele Menschen nicht die zahnmedizinische oder kieferorthopädische Versorgung bekommen, die sie eigentlich brauchen. Durch meine Videos wirke ich auf Patienten nicht unnahbar, sondern vertraut. Weil mir so viele Menschen auf TikTok folgen – unter ihnen auch viele Patienten – fühlen sie sich wohler und kommen manchmal sogar voller Vorfreude in die Praxis.“ Bei Kollegen löse @thebentist allerdings gemischte Reaktionen aus, berichtet Winters: „Manche verstehen diese Art von Kommunikation nicht oder finden sie trivial. Andere hingegen unterstützen mich und haben erkannt, wie meine Aktivität dazu beiträgt, dass Menschen unseren Beruf mit anderen Augen sehen.“ TikTok eröffnet neue Räume für die Wissensvermittlung. Das bestätigt die Medienwissenschaftlerin Dr. Johanna Schäwel vom Lehrstuhl für Medien- psychologie an der Universität Hohen- heim: „Wissen sollte unabhängig vom eigenen Bildungsgrad zugänglich sein. Qualitativ hochwertige Kanäle auf Tik- Tok können das leisten, denn man kann den kurzen und leicht verständlichen Infos ohne großes Vorwissen folgen.“ Darüber hinaus beobachtet die Wissen- schaftlerin, dass viele, vor allem junge Menschen auf TikTok Fragen zu scham- behafteten Themen im Zusammen- hang mit Körper, Aussehen, Sexualität und Gesundheit stellen. „Themen, die vielen peinlich sind, können so ent- tabuisiert werden. Wenn jemand bei- spielsweise auf TikTok seine schiefen Zähne zeigt oder über Mundgeruch spricht, ist das für andere, die auch da- runter leiden, eine Erleichterung. Sie sehen plötzlich, dass sie nicht allein sind.“ Ein TikTok-Video mit einer maximalen Länge von 60 Sekunden könne aller- dings nie das große Ganze darstellen, sondern immer nur einen kleinen Aus- schnitt aus oft sehr komplexen medi- zinischen Zusammenhängen. „Das muss den Nutzenden klar sein, damit sie die Informationen richtig einsetzen. Hier ist die Kompetenz gefragt, mit digitalen Medien kritisch und selbst- bestimmt umgehen zu können. Der Grundstein für diese Fähigkeiten sollte PATIENTENINFORMATIONEN MIT TIKTOK Dancing Dentistry Susanne Theisen Zurzeit wächst kein soziales Netzwerk schneller als TikTok. Wer glaubt, dort wird NUR getanzt, liegt nicht ganz richtig. Die chinesische Video- plattform will nämlich ihre Spielwiese erweitern – Richtung Wissenschaft. Viele Videos auf TikTok thematisieren heute schon Medizin und Zahn- gesundheit. Stellt sich die Frage: Wie viele Informationen passen in 60 Sekunden? Foto: AdobeStock_Aleksei 36 | GESELLSCHAFT

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