Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 10

einen matschigen Weisheitszahn aus einem somalischen Stahlkiefer herausoperiert. Und dann ist da noch Hasan, der die zahnärztliche Station leitet und die Dienstpläne und die „Tickets“ für die Zahnbehandlungen organisiert. Die Termine werden im Halb-Stunden-Rhythmus vergeben und wir sind angehalten, immer nur einen Zahn pro Patient zu behandeln. Ich halte mich an die halbe Stunde, nicht aber an die Ein-Zahn-Vorgabe. Die „Zahnklinik“ ist in einem Con- tainer untergebracht, der aus zwei kleinen Räumen besteht. Fließendes Wasser gibt es nicht, dafür ein um- fangreiches, wenn auch leider unsor- tiertes Sortiment an Materialien und Instrumentarien – mit einem deut- schen Sterilisationsgerät als echtem Lichtblick. Dazu gibt es zwei Klapp- stühle und Behandlungsmotoren, die zusammen mit dem Kompressor in einer Art Koffer untergebracht sind und bei der Benutzung einen ohren- betäubenden Lärm verursachen. Meine Patienten kommen überwie- gend aus Afghanistan, einige aus dem Iran und aus Somalia. Insgesamt können wir relativ gut eine nach- haltige Zahnmedizin umsetzen, da hochwertiges Material und zuverläs- sig funktionierende Arbeitseinheiten zur Verfügung stehen. Der Zustand der Zähne allerdings ist sehr divers. Die meisten Patienten haben tiefe Karies. So gibt es zum Beispiel den pulpitischen 6er unter einer intakten Vollkeramikbrücke oder einfach nur den Wunsch nach Zahnsteinentfer- nung. Gelegentlich stellen sich Pa- tienten mit einem im Zwischenraum impaktierten Speiserest vor. Parodon- tale Auffälligkeiten sehe ich verhält- nismäßig wenige, was vermutlich an der Altersstruktur liegt: Viele der Ge- flüchteten sind sehr jung, die meis- ten zwischen 17 und 25 Jahren. Mein jüngster Patient ist 4 Jahre alt, meine älteste Patientin 54. DIE PATIENTEN SEHEN OFT ZEHN JAHRE ÄLTER AUS Ich erinnere mich an Cismaan aus Somalia, Mitte 40, sehr groß, gelbe, blutunterlaufene Augen, der Mantra- artig wiederholt: „J‘ai peur, j‘ai telle- ment peur! (Ich habe Angst, ich habe Die „Zahnklinik“ im Camp besteht aus zwei kleinen Räumen, untergebracht in einem Container. GESELLSCHAFT | 79

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