Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 15-16

zm 111, Nr. 15-16, 16.8.2021, (1445) IDS 2021 Biologischer Blick auf die Endodontie Christian Ehrensberger In der Corona-Pandemie geraten Entzündungsherde im Mund stärker ins Blickfeld. Zahnärztliche Behandlungen, insbesondere endodontische, spielen dabei eine besondere Rolle. Auf der Internationalen Dental-Schau 2021 (IDS), die vom 21. bis zum 25. September in Köln stattfindet, dürfte die Sicht auf dieses Fachgebiet konsequenterweise stärker als bisher biologisch geprägt sein, die Therapie ebenfalls. C hronische Entzündungsherde schwächen bekanntermaßen das Immunsystem. Das gilt generell und sollte daher speziell auch auf inflammatorische Erschei- nungen in Wurzelkanälen zutreffen (ähnlich wie für Periimplantitis be- reits nachgewiesen). Dies legt nahe, dass eine adäquate Behandlung das Risiko für den schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung mindern kann. So tritt in der Corona-Pande- mie die Bedeutung der Endodontie für die Allgemeingesundheit deut- lich zutage. Umgekehrt lenkt die „biologische Brille“ den Blick automatisch auf die effektive Desinfektion des Wurzelka- nals. Man präpariert heute eher sub- stanzschonend, um den Zahn nicht zu schwächen. Darum versichert man sich bei der Entfernung des De- bris und des Biolfilms zusätzlicher Unterstützung. Eine Möglichkeit sind durch einen Er:YAG-Laser indu- zierte Schockwellen (PIPS, Photon- induced Photo-acoustic Streaming), eine andere besteht in der Schallak- tivierung der Spülflüssigkeit. Der Erfolg lässt sich inzwischen im Rah- men von Studien unter Verwendung mikrobiologischer Verfahren messen (qPCR/quantitative Polymeraseket- tenreaktion). Auch der Zahnarzt könnte sich in Zu- kunft häufiger auf die Analyse von Entzündungsmarkern im Dentinli- quor oder, nach Pulpa-Eröffnung, aus Blut oder Gewebeflüssigkeit stützen. Dementsprechend öfter wird er zu vitalerhaltenden Maßnahmen greifen, zum Beispiel zu einer direkten oder indirekten Überkappung mit bioakti- vem/bakteriziden Material (wie Kalzi- umhydroxid, Kalziumsilikatzement). So kann das Gewebe ausheilen, inte- ressanterweise selbst dann, wenn zu- nächst eine irreversible Pulpitis diag- nostiziert wurde. EINE „BIOLOGISCHE WURZELKANALFÜLLUNG“ Wohl am deutlichsten manifestieren sich biologisch inspirierte Therapie- ansätze bei der Behandlung von Zähnen mit nicht abgeschlossenem Wurzelwachstum in Verbindung mit einer nekrotischen Pulpa und peria- pikalen Pathologie. Statt der klassi- schen Apexifikation kombiniert man heute multipotente Stammzellen aus der Zahnpapille mit Wachstumsfak- toren aus Dentin und thrombozy- tenangereichertem Plasma in Ver- bindung mit einer speziellen Matrix. Auf diese Weise züchtet der Endo- dontologe im Wurzelkanal frisches Gewebe und revitalisiert beziehungs- weise revascularisiert die nekrotische Pulpa – eine „biologische Wurzel- kanalfüllung“. Darüber hinaus kann das dreidi- mensionale Röntgen biologische Prozesse besser sichtbar machen und einen Blick durch eine dicke Knochencompacta oder durch das Jochbein hindurch auf Kieferkno- chenentzündungen ermöglichen. Die Chancen einer auf 3-D-Darstel- lungen digitalgestützten Endodon- tie reichen über ein stringentes Backward-Planning bis hin zur Bohrschablone. Damit kann gegebenenfalls sogar der Hauszahnarzt eine komplexe, aber vom Spezialisten bereits vo- rausgedachte Wurzelkanalbehand- lung selbst durchführen. Mit allem, was dazu gehört: mit flexiblen Fei- len für ein substanzschonendes Vor- gehen oder für einen angewinkelten Zugang in den Wurzelkanal; mit Lupenbrillen und OP-Mikroskope für eine gute Sicht auf das Behand- lungsfeld – mit sowohl endodonto- logischem als auch biologischem Blick, als zahnerhaltende Maß- nahme und möglicherweise auch als Prophylaxe gegen schwere Co- vid-19-Verläufe. Die IDS 2021 wird eine umfassenden Überblick über die aktuellsten Verfahren im Bereich der Endodontie bieten. \ CHRISTIAN EHRENSBERGER Frankfurt am Main Für den präzisen endodontischen Blick: Lupenbrillen und OP-Mikroskope auf der IDS. Foto: Koelnmesse / ICS Cologne / Thomas Klerx PRAXIS | 43

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