Zahnaerztliche Mitteilungen Nr. 4

zm113 Nr. 04, 16.02.2023, (256) 66 | POLITIK alle möglichen Eventualitäten berücksichtigte. Die ersten zwei Drittel aller Wahlgänge waren Kampfabstimmungen, kein Wahlgang ging verloren; danach warf die Schad-Truppe das Handtuch. Karl Horst Schirbort war neuer KZBV-Vorsitzender. Der neue Vorstand hatte sich ehrgeizige Ziele gesetzt: eine Neubestimmung des GKV-Leistungskatalogs durch Festlegung von Grund- und Wahlleistungen, ein Bekenntnis zu Festzuschüssen und Kostenerstattung, die Abschaffung von Deckelung und Degression und vor allem der Budgetierung. Mit einem Satz machte er Furore Der damalige Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer forderte weiterhin die Begrenzung zahnärztlicher Leistungen und bereitete dazu die GKV-Neuordnungsgesetze vor. Schirbort: „Der Gesamtvorstand ist dagegen losgegangen. Damals habe ich den einfachen Satz geprägt, von dem ich nie gedacht hätte, dass er in der Politik so viel Furore macht: Mit begrenzten Mitteln gibt es keine unbegrenzten Leistungen!“ „Furore“ war maßlos untertrieben. Dieser Satz (der übrigens gerade in diesen Tagen wieder aktuell und richtig ist) löste in der Politik eine so nicht gekannte Empörung aus. So richtig und ehrlich diese Formulierung auch war, sie brach ein Tabu: nämlich das Eingeständnis, dass angesichts knapper Kassen eine Versorgung „Alles für Alle“ nicht länger verantwortbar war. Zu dieser Erkenntnis waren weder die Sozialromantiker in der SPD noch die von manchem Herz-Jesu-Sozialismus umwölkten CDU-Sozialausschüssler um Horst Seehofer bereit. Fortan war das Verhältnis zwischen der verfassten Zahnärzteschaft und den Gesundheitspolitikern nicht nur in Berlin mehr als nur frostig. Und als Schirbort, der ja auch noch weiterhin ehrenamtlicher KZV-Chef in Niedersachsen war, 1995 in einem Honorarstreit mit den dortigen Krankenkassen nicht kuschenwollte, setzte das zuständige Ministerium einen Staatskommissar ein, der die KZV führen sollte. Das brachte zwar keinem der Beteiligten etwas – außer einem Heiligenschein für Schirbort bei seinen engsten Getreuen –, doch folgte auf den politischen Frost eine mittlere Eiszeit. 1995 legte der KZBV-Vorstand ein Konzept für Vertrags- und Wahlleistungen in der zahnärztlichen GKV-Versorgung vor, das so gut war, dass es nicht nur in der durch die Budgetierung frustrierten Kollegenschaft überwiegend positiv ankam, auch von der Politik wurde es mit Interesse aufgenommen. 1997 wurde die Mehrkostenregelung in der Füllungstherapie eingeführt. Die wurde zwar durch Initiativen auf Länderebene entwickelt (wesentlich von der KZV Hessen – und die war ja in Schirborts Vorstand vertreten), aber die KZBV ermunterte erfolgreich die Bundesregierung zur dafür notwendigen Gesetzesänderung. Mit dem2. Gesetz zur Neuordnung von Selbstverwaltung und Eigenverantwortung in der GKV (2. GKV-NOG) führte der Gesetzgeber unter anderemdie Kostenerstattung beim Zahnersatz ein: Der prozentuale Zuschuss der Krankenkassen wurde ersetzt durch Festzuschüsse, der Patient erhielt eine reine Rechnung nach GOZ. Der Coup gelang auf einsamen Waldwanderungen Für Karl Horst Schirbort war das eine späte Genugtuung, hatte er doch jahrelang für die Kostenerstattung und Direktabrechnung mit dem Patienten gekämpft. Ziemlich spät im eingeleiteten Gesetzgebungsverfahren erfuhren die Öffentlichkeit und auch der überraschte KZBV-Vorstand von dieser Zahnersatz-Neuregelung. Schirborts Stellvertreter Peter Kuttruff war womöglich eingeweiht. Aber es war wohl der Vorsitzende im Wesentlichen ganz allein, der dazu mit den verantwortlichen Politikern im Gespräch war. Bis heute halten sich hartnäckig Gerüchte über Gespräche Schirborts auf einsamen Waldwanderungen mit Gesundheitsminister Seehofer. Schirbort genoss den Coup! Doch ein gutes Jahr später war der Zauber schon wieder vorbei: Angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl und schlechter Umfrageergebnisse für die amtierende Regierung bekam Horst Seehofer kalte Füße und die Nase in den Wind. Kommando zurück – wieder Aus und Vorbei für standardisierte Festzuschüsse und die Kostenerstattung! Genützt hat es ihm nicht, Andrea Fischer war 1998 seine Nachfolgerin im Amt. Schirbort war tief deprimiert und angeschlagen. Er sah auch nur geringe Chancen für eine erfolgreiche Arbeit angesichts einer rot-grünen Bundesregierung und musste für eine erneute Kandidatur zum KZBV-Vorsitzenden mehr überredet denn überzeugt werden. Das wohl entscheidende Gespräch dazu fand auf der Terrasse meines Hauses statt. Eine Handvoll „Getreuer“ redete mit Engelszungen auf ihn ein und erhielt schließlich seine Zusage. Bei den anstehenden Wahlen lag denn auch die „Liste Schirbort“ wieder vorn. Die neue Regierung zeigte sehr schnell, wohin es fortan gehen sollte: Das Gesundheitsreformgesetz 2000 verpflichtete unter anderem zur Qualitätssicherung, zur strikten an der Steigerungsrate der Grundlohnsumme orientierten Budgetierung und zur Vorlage von Vergütungsvereinbarungen mit den Krankenkassen bei den Aufsichtsbehörden. Ein weiteres Mal wurde der Gestaltungsspielraum der zahnärztlichen Körperschaften in der Selbstverwaltung beschnitten. Karl Horst Schirbort verlor zusehends den Elan. Hinzu kam eine ihn zunehmend ärgernde und nervende Opposition aus den Länder-KZVen. Das merkte er in den Vertreterversammlungen der KZBV und noch mehr im KZBV-Beirat, in dem die KZV-Vorsitzenden und der KZBVVorstand zusammenkommen. Immer Karl Horst Schirbort im Jahr 2012 Foto: KZV Niedersachsen

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