PRAXIS | 29 ven Bereich etwa zehn Prozent der Gesamtarbeitszeit für die Korrektur von Fehlern aufgewendet wird, die anders ausgewertet, wertvolle Lernchancen bieten könnten. Schweigen aus Angst bringt niemanden weiter Im Beispiel (Kasten unten) kann man natürlich die Reaktion der Zahnärztin als Auslöser sehen, aber das wäre zu kurz gesprungen. Wenn eine derartige Äußerung in einer Erregungssituation passiert und hinterher – im Sinne eines Fehlermanagements – angesprochen und bearbeitet wird, wird das voraussichtlich keinen Schaden anrichten. Man weiß heute, dass es darum geht, im gesamten Praxissystem ein Gefühl von psychologischer Sicherheit zu schaffen. Psychologische Sicherheit im Sinne der US-amerikanischen Sozialwissenschaftlerin Amy Edmondson heißt, systematisch auf Dauer eine Kultur zu schaffen, in der Mitarbeitende ohne Angst vor negativen Konsequenzen ihre Meinungen äußern, Fragen stellen oder Fehler offen und angstfrei thematisieren können. Diese Atmosphäre stärkt das Vertrauen in die Führung und ins Team, fördert den Zusammenhalt sowie die Bindung und steigert die Produktivität. Es geht darum sicherzustellen, dass innerhalb der gesamten Gruppe ein positiver, wertschätzender Umgang miteinander herrscht, der es ermöglicht, Fehler ansprechen und diese als gemeinsame Lernchancen nutzen zu können, ohne von Vorgesetzten oder der Gruppe bloßgestellt zu werden. Was können Sie tun? 1. Sie können eine offene, vertrauensvolle Kommunikation fördern Wichtig ist, in Team-Meetings darauf zu achten, dass hier auch die positiven Dinge Raum finden. Also auch: Was lief gut? Möglichst alle Mitarbeitenden sollten ihre Gedanken und Vorschläge äußern können (und auch dazu motiviert werden). Wichtig ist dabei, dass die Beiträge wirklich aktiv angehört und wertschätzend aufgenommen werden. 2. Sie können aktiv eine positive Fehlerkultur etablieren Wir machen täglich Fehler. Es hilft, als Chefin die eigenen Fehler aktiv anzusprechen und somit ein Vorbild zu sein. Dabei kann man den Schlamassel als normalen Teil von Lernprozessen einordnen. Wenn es um Fehler von Mitarbeitenden geht, hilft es bewusst den „Schuldigen“ nicht wissen zu wollen, sondern an der Optimierung der Prozesse zu arbeiten. Im Englischen gibt es dafür den Slogan: „Blame the process, not the people!“ Wenn Mitarbeitende selber Fehler ansprechen, bedanken Sie sich für die Offenheit (und vielleicht auch für den Mut). Danach sorgen Sie für eine positive Lösung des Problems und stellen zm115 Nr. 03, 01.02.2025, (131) Annika Łonak Fachärztin für Radiologie und Neuroradiologie, Oberärztin Universitätsspital Basel Foto: Sarah Dulgeris Dipl.-Psych. Maike Baumann Psychotherapeutin und Mediatorin, Coach, Autorin und Dozentin Foto: Sarah Dulgeris Dr. med. dent. Anke Handrock Praxiscoach, Lehrtrainerin für Hypnose (DGZH), NLP, Positive Psychologie, Coaching und Mediation, Speakerin und Autorin Foto: Sarah Dulgeris FALLBEISPIEL: DAS VERSCHWUNDENE INLAY „WER DAS VERBOCKT HAT, KANN WAS ERLEBEN!“ In einer Praxis wurde von der Zahntechnik ein Inlay im Artikulator geliefert. Die Zahnärztin hatte es bereits kurz gesehen. Als sie nach einigen Minuten zurück ins Behandlungszimmer kam, war das Inlay jedoch verschwunden. Der Patient auf dem Stuhl erlebte eine fieberhafte, aber ergebnislose Suche nach seinem Inlay. Die Zahnärztin sagte verärgert: „Wer das verbockt hat, kann was erleben!“ Sie befragte alle anwesenden Mitarbeiterinnen – keine hatte das Stück gesehen. Es erfolgte eine neue Abformung. Die Stimmung in der Praxis war auf dem Tiefpunkt. Das Inlay und die Schuldige tauchten nie auf. Einige Jahre später wurde diese Situation in einem Coaching erwähnt. Die dienstälteste Mitarbeiterin sagte: „Oh, das ist mir passiert, jetzt kann ich das ja sagen.“ Die Zahnärztin fiel aus allen Wolken und die Mitarbeiterin fuhr fort: „Damals hatte ich viel zu große Angst, rauszufliegen oder vor allen blamiert zu werden. Aber das ist ja jetzt ganz anders hier. Ich hatte damals extra dafür gesorgt, dass alle Kolleginnen etwas in dem Zimmer zu erledigen hatten. So konnten Sie nicht herausfinden, wem das passiert war. Das Inlay ist mir in die Ritze hinter den Schränken gefallen.“ Wie viel geschickter hätte sich die Situation lösen lassen, wenn die Mitarbeiterin damals den Mut gehabt hätte, die Zahnärztin vor dem Betreten des Zimmers zu informieren! Und wie viel besser wäre die Stimmung in den Monaten nach dem Zwischenfall im Team gewesen!
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