POLITIK | 39 zm115 Nr. 03, 01.02.2025, (141) „Anwesenheitsprämien sind ein denkbares Instrument“ Welche rechtlichen Aspekte von Boni und Anwesenheitsprämien sollten Zahnärztinnen und Zahnärzte beachten? Der Arbeitsrechtler und Rechtsanwalt Bernhard Kinold gibt Auskunft. Ein Belohnungsmodell in Form von Boni für jeden Monat ohne Krankmeldung, sozusagen als Anwesenheitsprämie – kann das arbeitsrechtlich funktionieren? Ja, arbeitsrechtlich ist das möglich, wenn bestimmte Vorgaben beachtet werden – aber dazu gleich mehr. Und was ist aus Ihrer Sicht für Zahnarztpraxen davon zu halten? Da unterscheiden sich Zahnarztpraxen eigentlich nicht von anderen Arbeitgebern. Die Mitarbeitenden werden benötigt, um den ordnungsgemäßen Praxisbetrieb aufrecht erhalten zu können, und ein zu hoher Krankenstand ist kaum durch entsprechende Personalreserven zu kompensieren. Zum einen, weil Personal ohnehin knapp ist und zum anderen, weil eine Personalreserve natürlich auch erheblich Kosten nach sich zieht. Da kann man sich schon einmal Gedanken machen, wie man den Krankenstand denn in den Griff bekommen kann. Anwesenheitsprämien sind da – auch in der Zahnarztpraxis – ein denkbares Instrument. Wer Prämien für Anwesenheit erhält, läuft Gefahr, sich krank zur Arbeit zu schleppen – was ist aus Arbeitgebersicht rechtlich dazu zu sagen? Ein Zahnarzt / eine Zahnärztin wird kein gesteigertes Interesse daran haben, mit kranken Assistenzkräften am Stuhl zu stehen. Wenn eine echte, insbesondere ansteckende Erkrankung vorliegt, gefährdet das nicht nur das gesamte medizinische und sonstige Praxisteam, sondern auch die Patientinnen und Patienten, zumal sich ja eine gewisse körperliche Nähe kaum vermeiden lassen wird. Der Arbeitgeber darf auch erkennbar arbeitsunfähig erkranktes Personal gar nicht beschäftigen. Zielgruppe der Anwesenheitsprämie ist allerdings ja eher das „gar nicht wirklich kranke“ Personal, was aber im Einzelfall auch schwer abzugrenzen sein dürfte. Wenn ich eine Anwesenheitsprämie einführe, muss ich dies jedenfalls aus Gründen der Gleichbehandlung für alle Beschäftigten tun. Was sollte eine Zahnärztin oder ein Zahnarzt beachten, wenn er oder sie ein solches Anreizmodell in der Praxis einführen will? Folgende Voraussetzungen sind einzuhalten: Die Anwesenheitsprämie muss zusätzlich zum normalen Arbeitsentgelt vereinbart werden und die Kürzung darf für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, nicht überschreiten (§ 4a Entgeltfortzahlungsgesetz – EFZG). Das ist die arbeitsrechtliche Seite. Daneben ist allerdings auch die Art und Weise der Einführung ein heikles Thema. Gehe ich als Arbeitgeber nicht mit dem nötigen diplomatischen Geschick, sondern mit der Brechstange vor, kann das erhebliche Auswirkungen auf die Mitarbeitermotivation haben. Niemand lässt sich gerne nachsagen, krank zu „feiern“. Welche Anreize könnten aus Arbeitnehmersicht wirksam sein? Die Anwesenheitsprämie ist für die Mitarbeitenden, die selten krank sind, eine schöne Sache, weil es ja zusätzliches Geld gibt, auf das sonst kein Rechtsanspruch bestünde. Als ungerecht wird sie dagegen empfunden von beispielsweise chronisch Erkrankten, die dafür ja gar nichts können, aber trotzdem durch die Kürzung der Prämie „bestraft“ werden. Aus Arbeitnehmersicht ergibt sich also kein einheitliches Bild. Ratsam erscheint es, eine Anwesenheitsprämie mit motivierenden Anreizen zu kombinieren. So besteht beispielsweise die Möglichkeit, dass ein Arbeitgeber den regelmäßigen Besuch eines Fitnessstudios als steuer- und sozialversicherungsbefreiten Sachbezug oder im Wege der betrieblichen Gesundheitsförderung bezuschusst. Das vereint Gesundheits- und Motivierungsaspekte und nützt damit letztlich allen, auch wenn das Ganze vordergründig den Arbeitgeber natürlich erst einmal Geld kostet. Das ist bei einer Anwesenheitsprämie aber ja nicht anders. Ist es eine Lösung, wenn der Arbeitgeber diePflicht zur AU-Bescheinigung am ersten Krankheitstag einführt? Arbeitsrechtlich ist das jedenfalls kein Problem. § 5 EFZG sieht diese Möglichkeit ausdrücklich vor. In den die AU-Bescheinigung ausstellenden Hausarztpraxen führt das natürlich zu einer erheblichen bürokratischen Mehrbelastung. Ob eine AU-Pflicht ab dem ersten Krankheitstag letztlich „Blaumachen“ wirklich verhindern kann, darf zudem bezweifelt werden. Was soll die Hausärztin oder der Hausarzt denn machen, wenn jemand beispielsweise über Übelkeit klagt? Auch dieses Instrument hat zudem den Nachteil, dass es schnell zu Unmut in der Belegschaft führt, weil man sich unter Generalverdacht gestellt sieht. Ein Allheilmittel gibt es vermutlich nicht. Eine gute Arbeitsatmosphäre, die zu motivierten Mitarbeitenden führt, die gerne zur Arbeit kommen, ist sicherlich vorzugswürdig. Das Gespräch führte Gabriele Prchala. Bernhard Kinold ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Foto: privat
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