GESELLSCHAFT | 57 Bei späteren Grabungen in Ephesos wurde 1982 schließlich der Rest des Skeletts gefunden, diesmal aber nicht im Sarkophag, sondern in einer Nische in einem Vorraum der Grabkammer. Aufgrund der vermuteten architektonischen Anleihen des Oktogons bei dem ägyptischen Vorbild des „Pharos von Alexandrien“ und des historischen Fakts, wonach Arsinoë IV um 41 v. u. Z. in Ephesos auf die Veranlassung von Marcus Antonius, Geliebter von Kleopatra, ermordet worden war, entstand 1990 die Hypothese, Arsinoë IV könnte in diesem prunkvollen Grab in Ephesos ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Seither rankten sich zahlreiche Meldungen und Publikationen um dieses Gerücht. Aber was ist an diese Geschichte wirklich dran? Das Department für Evolutionäre Anthropologie an der Universität Wien hat nun gemeinsam mit Genetikern, Datierungsspezialisten, Kieferorthopäden der Universität Wien und Archäologen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften den Schädel analysiert. Im ersten Schritt wurde der Schädel einer Micro-Computer-Tomografie unterzogen, um seine digitale Kopie mit einer Auflösung von 80 Mikrometer für alle Zeiten zu archivieren. Dann entnahmen die Forschenden Proben im Milligramm-Bereich von der Schädelbasis und dem Innenohr, um das Alter und den genetischen Status zu bestimmen. Die Daten aus dem Massenspektrometer wurden mit den neuesten Kalibrationskurven abgeglichen, die sogar die vermutete Ernährungszusammensetzung berücksichtigten. Der Schädel datiert demnach in die Jahre zwischen 36 und 205 v. u. Z., was gut zu dem überlieferten Sterbedatum von Arsinoë IV im Jahr 41 v. u. Z. passt. Aufnahmen der Zahnwurzeln geben die Antwort Die Genetiker fanden zudem eine Übereinstimmung des Schädels mit den vorhandenen Proben vom Oberschenkelknochen. Das Skelett, das sich später im Vorraum des Oktogons fand, gehörte also tatsächlich zur selben Person wie der Schädel, den Josef Keil 1929 dem Sarkophag entnommen hatte. „Aber dann kam die große Überraschung: Schädel und Oberschenkelknochen zeigten beide ganz eindeutig in wiederholten Versuchen das Vorliegen eines Y-Chromosoms – also eines Mannes“, berichtet Studienleiter Gerhard Weber, Anthropologe an der Universität Wien. Die morphologische Auswertung des Schädels und der Mikro-CT-Daten ergab, dass der Junge aus dem Oktogon noch in seiner Pubertät steckte und etwa 11 bis 14 Jahre alt war. Das belegen auch die hochauflösenden Aufnahmen der Zahnwurzeln und der sich noch entwickelnden Schädelbasis. Der Junge litt aber offensichtlich an einer krankhaften Entwicklung: Eine seiner Schädelnähte, die normalerweise erst im Alter von 65 Jahren verwächst, war bei ihm bereits geschlossen. Der Schädel zeigt dadurch eine stark asymmetrische Form. Am auffälligsten war der unterentwickelte Oberkiefer Am auffälligsten aber war der unterentwickelte Oberkiefer, der außergewöhnlich abgewinkelt nach unten zeigt und vermutlich zu großen Problemen beim Kauen geführt haben muss. Das belegen auch die auffälligen Winkel der Kiefergelenke und der Zahnbefund von zwei im Kiefer verbliebenen Zähnen. Der erste permanente Molar, der erste Zahn des Dauergebisses und damit üblicherweise am längsten im Einsatz, zeigte überhaupt keine Anzeichen einer Nutzung. Der erste Prämolar hingegen, der sich Jahre später in der Zahnreihe einstellt, war abgekaut und hatte deutliche Risse, vermutlich als Folge einer Überbelastung. Die Forschenden schließen daraus, dass kein regelhafter Zahnkontakt bestand, eine Folge der Wachstumsanomalie der Kiefer und des Gesichts. Was zu den Wachstumsstörungen geführt hat, bleibt vorerst ungeklärt. Es könnte sich um einen Vitaminzm115 Nr. 03, 01.02.2025, (159) Die teilweise erhaltene Alveole des oberen zweiten Molaren (M2 ) und die Krypta des oberen dritten Molaren (M3 ) im linken Oberkiefer, der obere erste Molar (M1 ) ist noch in situ. Foto: Uni Wien „Die morphologischen Untersuchungen des Schädels zeigen deutliche Anzeichen von Asymmetrie, Deformationen und Fehlfunktionen. Am auffälligsten ist der Oberkiefer: Er ist stark unterentwickelt und ungewöhnlich vertikal geneigt.“ Gerhard W. Weber, Anthropologe an der UniversitätWien
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