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107, Nr. 7, 1.4.2017, (792)

Gelenkhypermobilität vs.

hypermobiler Unterkiefer

In einigen, vor allem älteren Studien mit

kleinen, hochselektiven Probandenkollektiven

von Erwachsenen [Buckingham et al., 1991;

Perrini et al., 1997; Kavuncu et al., 2006]

wurde ein Kausalzusammenhang zwischen

einer allgemeinen Gelenküberbeweglichkeit

und craniomandibulären Dysfunktionen (CMD)

im Allgemeinen, aber auch einer erhöhten

Unterkieferbeweglichkeit im Speziellen ver-

mutet. Dies bot Anlass, einerseits bei unselek-

tierten Probanden zu untersuchen, ob eine

allgemeine Gelenküberbeweglichkeit einen

Vorhersagewert für das Auftreten von CMD im

Allgemeinen hat, und anderseits auf Zusam-

menhänge mit Subtypen zu prüfen.

So wurde bei 1.833 Kindern und Jugend-

lichen die Prävalenz der allgemeinen Ge-

lenkhypermobilität mit den klinischen

Symptomen einer Diskusverlagerung in

den Kiefergelenken verglichen [Huddleston

Slater et al., 2007]. Hierbei wurde festge-

stellt, dass eine allgemeine Gelenküberbe-

weglichkeit und Diskusverlagerungen im

Bereich der Kiefergelenke unterschiedlich

häufig vorkommen und beide divergente

Riskofaktoren besitzen. Insofern konnte kein

Anhalt gefunden werden, dass eine allge-

meine Gelenküberbeweglichkeit einen kli-

nisch relevanten Vorhersagewert für das

Auftreten einer Diskusverlagerung besitzt.

Eine Studie bei 895 Erwachsenen kam aller-

dings zu gegensätzlichen Ergebnissen und

berichtete über einen klinisch grenzwertig

relevanten Zusammenhang zwischen allge-

meiner Gelenküberbeweglichkeit und nicht

schmerzhaften Gelenkgeräuschen [Hirsch et

al., 2008]. Eine israelische Forschergruppe

beschäftigte sich mit dem Zusammenhang

zwischen allgemeiner Gelenküberbeweg-

lichkeit und einer Überbeweglichkeit der

Kiefergelenke und untersuchte dies bei 248

Jugendlichen [Winocur et al., 2000]. Sie

fand eine schwache Korrelation zwischen

beiden Entitäten. Allerdings zeigte sich, dass

ein überbeweglicher Unterkiefer mit der

Präsenz von Gelenkgeräuschen assoziiert

war. Dies konnte in einer späteren Studie,

die diesen Zusammenhang an 260 Kindern

und Jugendlichen überprüfte, jedoch nicht

bestätigt werden [Kalaykova et al., 2011].

Während sich die bisherigen Studien an

klinischen Symptomen orientierten, wurde

kürzlich eine Studie publiziert, die die mit-

tels MRT verifizierte Präsenz einer Diskus-

verlagerung bei 66 jungen Frauen mit dem

Vorliegen einer allgemeinen Gelenküberbe-

weglichkeit verglich [Wang et al., 2012].

Auch hier konnte kein Zusammenhang er-

mittelt werden.

Aktuell konnten im Rahmen der in Leipzig

situierten und aus europäischen Mitteln ge-

förderten Life-Child-Studie bei 970 Kindern

und Jugendlichen Daten zu Gelenkgeräuschen

und zur allgemeinen Gelenküberbeweglich-

keit erfasst werden. Die Ergebnisse wurden

kürzlich im Rahmen der Jahrestagung der

Deutschen Gesellschaft für Funktions-

diagnostik und Therapie präsentiert. Wäh-

rend die Anzahl der überbeweglichen Ge-

lenke mit dem Lebensalter abnahm, konnte

eine Zunahme der Gelenkgeräusche mit dem

Alter beobachtet werden. Bei den Jungen

zeigten 17 Prozent der 10- bis 12-Jährigen

eine stark ausgeprägte generalisierte konsti-

tutionelle Hypermobilität der Gelenke (min-

destens vier Punkte auf der Beighton-Skala),

während diese bei den 16- bis 18-jährigen

bei 14 Prozent lag. Im Gegensatz dazu

zeigten 29 Prozent der 10- bis 12-jährigen

Mädchen eine allgemeine Gelenküberbe-

weglichkeit, während diese bei den 16- bis

18-jährigen bei 22 Prozent lag.

Beim Betrachten des Vorkommens von

Gelenkgeräuschen fällt auf, dass diese im

Gegensatz zur Gelenküberbeweglichkeit bei

Jungen von drei Prozent bei den 10- bis

12-Jährigen auf elf Prozent bei den 16- bis

18-Jährigen zunehmen. Bei den Mädchen

steigen sie von fünf Prozent bei den 10-

bis 12-Jährigen auf elf Prozent bei den 16-

bis 18-jährigen an. Insofern verläuft das

Vorkommen der allgemeinen Gelenküber-

beweglichkeit und des Gelenkknackens

sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen

mit zunehmendem Alter gegenläufig. Auch

zeigten Mädchen trotz des höheren Vor-

kommens an überbeweglichen Gelenken keine

höhere Prävalenz von Gelenkgeräuschen.

Unter Berücksichtigung von Alter und Ge-

schlecht erhöhte sich mit jedem über-

beweglichen Gelenk die Wahrscheinlichkeit

des Vorliegens eines Knackens in den Kiefer-

gelenken um 10 Prozent.

Fazit

Die überwiegende Mehrzahl der Studien

deutet darauf hin, dass eine allgemeine

Gelenküberbeweglichkeit einen klinisch we-

nig relevanten beziehungsweise geringen

Risikofaktor für unphysiologische Gelenk-

geräusche bei Kindern und Jugendlichen

darstellt. Insbesondere die gegenläufigen

Prävalenzen mit zunehmendem Alter

sprechen gegen einen gravierenden Zusam-

menhang. Eine Verbindung mit schmerz-

haften craniomandibulären Dysfunktionen

konnte bislang nicht nachgewiesen werden.

Dr. Oliver Schierz

Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und

Werkstoffkunde

Universität Leipzig

Liebigstr. 12, 04103 Leipzig

oliver.schierz@medizin.uni-leipzig.de

Prof. Dr. Christian Hirsch, MSc

Poliklinik für Kinderzahnheilkunde und

Primärprophylaxe

Universität Leipzig

Liebigstr. 12, 04103 Leipzig

Die Literaturliste kann auf

www.zm-online.de

abgerufen oder in der Redaktion angefordert

werden.

Magnetresonanztomogramm bei habitueller

Luxation des Condylus articulare;

* Tuberculum articulare

# anterior dislozierter Condylus articulare

--- Position des Condylus articulare in habitu-

eller Okklusionsposition

Foto: Universitätsklinikum Leipzig AöR - I.Riemer

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