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107, Nr. 7, 1.4.2017, (788)
Viele Menschen haben über das normale
Maß hinaus bewegliche Gelenke. Dies kann
beispielsweise Personen betreffen, die in
ihrer Jugend Gymnastik oder Ballett betrie-
ben haben (sogenannte Leistungshypermo-
bilität). Als eine ätiologisch andere Form ist
die reversible, hormonell bedingte Schwan-
gerschaftshypermobilität abzugrenzen. Im
Gegensatz zu diesen erworbenen Formen
der Hypermobilität gibt es angeborene
Formen. Die betroffenen Personen können
ihre Gelenke weiter als ihre Mitmenschen
bewegen. So beherrschen sie „Kunststücke“,
wie zum Beispiel den Daumen bis an den
Unterarm biegen zu können. Einige können
sogar ihr Gelenk aus der Gelenkgrube dis-
lozieren. Diese abnorme, über das übliche
Maß hinausgehende Beweglichkeit von Ge-
lenken nutzen etwa sogenannte „Schlan-
genmenschen“ bei ihren Darbietungen.
Der medizinische Begriff für Gelenke, die
sich weiter als normal bewegen lassen,
ist „Hypermobilität“. Bei nur einem über-
beweglichen Gelenk spricht man von einer
lokalen pathologischen Hypermobilität, die
zum Beispiel nach Traumata auftreten kann.
Davon abzugrenzen ist die generalisierte
Gelenkhypermobilität (sogenannte benigne
generalisierte konstitutionelle Hypermobili-
tät), die eher eine Varianz der Norm dar-
stellt. Bedingt durch Erkrankungen des Be-
wegungs- und Stützsystems (zum Beispiel
Marfan-Syndrom, Ehlers-Danlos-Syndrom,
diverse kongenitale mesodermale Dyspla-
sien) kann auch eine generalisierte patho-
logische Hypermobilität bestehen, wobei
der Übergang zur konstitutionellen Hyper-
mobilität fließend ist. Es kann durch unge-
wollte Überdehnung von Sehnen, Kapseln
und Muskeln wiederholt zu Schmerzen um
das betroffene Gelenk kommen. Falls die
betroffenen Gelenke über mehr als drei
Monate schmerzhaft sind, wird vom Gelenk-
hypermobilitätssyndrom gesprochen, dessen
Schweregrad mit der Anzahl der betroffenen
Gelenke zunimmt.
Ehlers-Danlos-Syndrom im
Bereich des Kiefers
Auch andere Erkrankungen sind bei den Be-
troffenen häufiger zu finden. So imponieren
beim Ehlers-Danlos-Syndrom im oralen
Bereich gehäuft ein Fehlen des lingualen
Frenulums, eine weite Mundöffnung (über
50 Millimeter) und eine volontäre Kiefer-
gelenk(sub)luxation [Castori et al., 2012].
Die Kondylusluxation ist durch eine unzurei-
chende Limitation der Bewegungskapazität
des Unterkiefers bedingt. Je nach Muskeltonus
und Ausprägung des Gelenkhöckerchens kann
die Luxation entweder nahezu unbemerkt
oder unter Eigenmanipulation des Patienten
reponieren. In seltenen Fällen ist eine Fremd-
manipulation zur Reponierung notwendig
(Abbildung 1). Auch besteht insbesondere
nach Eingriffen, die eine langanhaltende weite
Mundöffnung erfordern (Entfernung von
Weisheitszähnen, Wurzelbehandlungen im
Seitenzahnbereich) das Risiko der Kondylus-
luxation. Eine spontane Luxation ohne Auto-
reposition ist bei Jugendlichen und Erwach-
senen selten und tritt aufgrund des verän-
derten Muskeltonus und der Abflachung des
Tuberculum articulare vorwiegend bei pflege-
bedürftigen Senioren in Ruhephasen auf.
Anderseits – und wesentlich häufiger – kann es
durch überbewegliche Bänder (Ligamentum
discotemporale und L. discocondylare) zu Ver-
lagerungen des Discus articulare im Kiefer-
gelenk kommen, wobei eine Kausalbeziehung
bislang noch nicht schlüssig bewiesen ist
[Dijkstra et al., 2002]. Diese als Diskusdislo-
kation mit beziehungsweise ohne Reposition
Risikofaktor Gelenküberbeweglichkeit
Kiefergelenkprobleme durch Hypermobilität?
Oliver Schierz, Christian Hirsch
Zahnärzte und Kieferorthopäden stellen bei jugendlichen Patienten gelegentlich
eine erhöhte Gelenküberbeweglichkeit fest. Auch können in dieser Altersgruppe
häufiger Geräusche in den Kiefergelenken im Sinne eines Knackens gefunden
werden. Der Beitrag gibt einen Überblick über Prävalenz, Symptomatik,
Diagnostik und Zusammenhänge dieser beiden Entitäten.
Hippokrates-Handgriff zur Reposition bei Kiefergelenkluxation
Foto: Universitätsklinikum Leipzig AöR - I.Riemer
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Zahnmedizin