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107, Nr. 6, 16.3.2017, (617)
Hochschullehrer oder einer Erkrankung ge-
schuldet war, wird in der Literatur unter-
schiedlich referiert [Parreidt, 1909; Maretzky/
Venter, 1974; Meyer, 1997]. Parreidt gibt
jedenfalls an, Sauer habe von seinem Amt
leider „aus Gesundheitsrücksichten bereits
1889 wieder zurücktreten“ müssen [Par-
reidt, 1909, S. 119]. Tatsächlich starb Sauer
nur wenige Jahre später – am 17. März 1892
– im Alter von knapp 57 Jahren in Berlin.
Sauer regte im CVdZ frühzeitig eine zahn-
ärztliche Petition an, um gegen die 1871 im
Deutschen Reich eingeführte Kurierfreiheit
vorzugehen [Parreidt, 1909; Maretzky/Ven-
ter, 1974; Groß, 1994; Meyer, 1997; Groß/
Schäfer, 2009]. Noch in den 1870er-Jahren
setzte er eine Bittschrift auf, die gegen das
zahnärztliche „Kurpfuschertum“ gerichtet
war. Darin forderte er im Namen des CVdZ
ein Gesetz, das die „Kurierfreiheit“ wieder
aufheben sollte. Zudem schlug er vor, alle
Nichtapprobierten zur Abgrenzung gegen-
über den Zahnärzten auf die Bezeichnung
„Zahnarbeiter“ zu beschränken. Diese und
weitere Überlegungen legte er 1878 in dem
viel beachteten Artikel „Die Gewerbefreiheit
auf sanitätspolizeilichem Gebiete, mit beson-
derer Berücksichtigung der Zahnheilkunde“
in der „Deutschen Vierteljahrsschrift für
Zahnheilkunde“ nieder [Sauer, 1878]. Auch
auf der Jahrestagung des CVdZ 1878 in Co-
burg spielte die „Nichtapprobiertenfrage“
eine große Rolle. Dort wurde der Beschluss
gefasst, statistische Informationen zur An-
zahl und zu den Berufsbezeichnungen und
Tätigkeitsprofilen der Nichtapprobierten zu
erheben. Im darauffolgenden Jahr referierte
Sauer die Ergebnisse: Demnach waren im
Deutschen Reich nur 438 Zahnärzte, aber
735 nichtapprobierte Zahnbehandler nach-
weislich, die sich vielfach zahnarztähnliche
Berufsbezeichnungen angeeignet hatten
(etwa Zahnartist, Zahnoperateur, Spezialist
für Zahnheilkunde), um so den fachlichen
Unterschied zu den Zahnärzten zu kaschieren
[Groß, 1994; Parreidt, 1909]. Als Gegen-
maßnahme schlug Sauer dem CVdZ die
Gründung einer Zeitschrift vor, die speziell
berufspolitisch virulenten Fragen Raum geben
sollte [Maretzky/Venter, 1974; Groß, 1994].
Sauer erhielt daraufhin den Auftrag, die
Nichtapprobiertenfrage weiterzuverfolgen.
Am 28. Februar 1880 richtete er eine neuer-
liche Petition an den Staatsminister. Sie
blieb jedoch ebenso wie eine weitere, nun-
mehr an den Reichstag adressierte Petition
aus dem Jahr 1882 ohne Erfolg. Unterdessen
gingen immer mehr Nichtapprobierte dazu
über, sich „Dentist“ zu nennen. Letztlich
wurde die „Nichtapprobiertenfrage“ erst 1952
einer Lösung zugeführt: Mit dem „Gesetz
über die Ausbildung der Zahnheilkunde“
[Groß, 2006, S. 114] wurde das Ende des
Dentistenberufs besiegelt.
Eng verwoben mit dem Kampf gegen die
nichtapprobierte Konkurrenz war Sauers
Einsatz für eine Verbesserung der zahnärzt-
lichen Ausbildungsstandards und für eine
sukzessive Annäherung an den akademischen
Arztberuf [Parreidt, 1909; Maretzky/Venter,
1974; Groß, 1994; Groß/Schäfer, 2009]. So
kündigte Sauer bereits 1877 auf der Jahres-
versammlung des Central-Vereins Initiativen
zur Gründung eines zahnärztlichen Instituts
in Berlin an. Im Folgejahr präsentierte er be-
reits einen Studienplanentwurf für künftige
Studierende der Zahnheilkunde. Dieser sah
ein mindestens fünfsemestriges Studium
mit einer intensivierten prothetischen Aus-
bildung vor. In den 1880er-Jahren gehörte die
Verbesserung der zahnärztlichen Ausbildung
zu den zentralen standespolitischen Zielen
Sauers, der als erster deutscher Titular-
professor für das Fach Prothetik gelten kann
[Tiburczy, 1982; Bernau, 1986].
Bilanz: Trotz diverser standespolitischer Nie-
derlagen trat Sauer als früher Wegbereiter
einer verbesserten zahnärztlichen Ausbildung
und als „Aktivist“ in der „Nichtapprobierten-“
beziehungsweise „Dentistenfrage“ hervor.
Für seine Beharrlichkeit zeichnete der Cen-
tral-Verein Sauer 1890 mit der „Goldenen
Medaille“ aus [Groß/Schäfer, 2009].
Die Rettung des Kiefers
Ähnlich bemerkenswert waren Sauers Bei-
träge zur fachlich-wissenschaftlichen Wei-
terentwicklung der Zahnheilkunde. Bereits
als junger Zahnarzt beschäftigte er sich mit
den Wirkweisen und Einsatzbereichen von
Wasserstoffperoxyd, Lachgas und Aluminium.
Insbesondere dem Aluminiumguss galt sein
frühes Augenmerk. Noch bedeutsamer waren
Sauers Arbeiten zur Entwicklung saugfähiger
und kostengünstiger Kautschukprothesen, die
er zu Beginn der 1860er-Jahre auf Anregung
seines Lehrmeisters Süersen betrieb. Bis da-
hin galt Kautschuk aufgrund der bestehen-
den Patentrechte als kaum erschwingliches
Material. Sauer und Süersen gelang in dieser
Zeit die Entwicklung einer preiswerten und
praxistauglichen Kautschukvariante, die in
der deutschen Prothetik für Aufsehen sorgte
und rasch Verbreitung fand [Holzhauer, 1962;
Meyer, 1997].
Die größte Bedeutung erzielte Sauer allerdings
– retrospektiv betrachtet – im Bereich der
(zahnärztlichen) Chirurgie. Er war nicht nur
an der Entwicklung von Resektionsverbänden
und (Gaumen-)Obturatoren beteiligt [Parreidt,
1909], sondern ging auch als Namensgeber
einer Kieferbruchschiene in die Medizin-
geschichte ein. So entwickelte er im Verlauf
der 1880er-Jahre einen „Notverband“ aus
Draht [Sauer, 1889], der an den (verbliebe-
nen) Unterkieferzähnen befestigt wurde und
etwaige Defekte bogenförmig überspannte.
Der in mehreren Publikationen vorgestellte
„Drahtschienenverband nach Sauer“ wurde
zur Grundlage der modernen Kieferfraktur-
therapie und kommt (in vielfach modifizier-
ter Form) noch heute bei Kieferbrüchen und
-defekten zum Einsatz.
Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik
Groß
RWTH Aachen University
Medical School
MTI II, Wendlingweg 2
52074 Aachen
Die Literaturliste kann auf
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werden.
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