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107, Nr. 5, 1.3.2017, (445)
Den IGeL-Monitor* des medizinischen
Dienstes des GKV-Spitzenverbands (MDS)
gibt es nun seit fünf Jahren – Tusch,
Konfettiregen und ein Gläschen Sekt. In
dieser Zeit wurden 41 Individuelle Gesund-
heitsleistungen, kurz IGeL, „wissenschaft-
lich“ bewertet. Doch sind sie deshalb auch
richtig?
Zurück zur diesjährigen Jahrespresse-
konferenz des MDS. Kein einziger IGeL
erreichte bis dato die beste von fünf
Bewertungsstufen, die mit dem simplen
Wort „positiv“ beschrieben wird. Lediglich
drei IGeL schafften die zweitbeste Stufe
„tendenziell positiv“.
Im Schlamm der 15 als „unklar“ klassifizierten
IGeL suhlen sich für die deutsche Schul-
medizin so typische Angebote wie „Bach-
blütentherapie“ oder „Kunsttherapie“. Ja,
und auch die „professionelle Zahnreinigung“.
Sollten Sie sich jemals gefragt haben, was
Bachblüten zu einer therapeutischen Maß-
nahme machen, vertrauen Sie der wissen-
schaftlichen Bewertung des MDS. Und die
lautet für die Gruppe „unklar“ so: „Schaden
und Nutzen gleichen sich in etwa aus, oder
aber es liegen keine Bewertungsunterlagen
vor“. Um im Bilde zu bleiben hat die Zahn-
medizin mit dieser Bewertung echt Schwein
gehabt. Was mir aber immer noch nicht so
recht in den Kopf will: Warum machen über
50 Prozent der Krankenkassen bei der PZR
mit und nutzen diese zur „Kundenbindung“?
Weil beim Marketing alles erlaubt ist, solange
es auf die Konsumentenvorstellung einzahlt?
Ist schon klar, erst kommt das Fressen, dann
die Moral, aber wieso verhalten sich IGeL-
Krankenkassen „sauberer“ als Ärzte, die
ihren Patienten IGeL anbieten?
Weitere vier IGeL werden als „negativ“, 17
IGeL als „tendenziell negativ“ abgekanzelt,
darunter aktuell der „Lungenfunktionstest
mittels Spirometrie bei Erwachsenen ohne
Symptome“ zur COPD-Früherkennung.
Begründung: Schäden aufgrund einer falsch
positiven Diagnose samt eventuell folgender
Therapie, als Overtreatment zu werten, seien
zu befürchten. Ah ja. Klinisch funktioniert es
jedoch anders: Gibt es ein stärkeres Argument
einen Raucher zu überzeugen, mit den
Glimmstengeln zu brechen, als dass seine
Sucht zwar unbemerkte, aber bereits kör-
perliche Folgen zeitigt? Und zwar bevor sich
das Vollbild einer COPD manifestiert?
Dass auch IGeL-Angebote einer klinischen
Bewertung unterzogen werden müssen,
steht aus meiner Sicht außer Zweifel.
Schließlich liegt dies auch im wohl-
verstandenen Interesse der Anbieter. Die
entscheidende Frage lautet jedoch: Was
sind die Bewertungskriterien? Wenn die
Elle der „Evidenzbasierten Medizin“ gilt,
kann es für IGeL-Angebote keine positiven
Bewertungen geben. Denn ansonsten
gehörten diese in den Leistungskatalog und
wären keine IGeL mehr. Das heißt: Jeder
Versuch, IGeL nach dem Regelwerk für
klinische Studien des IQWiG zu bewerten,
kann per definitionem kein positives Ergebnis
nach sich ziehen.
Interessant ist daher die Begründung aus der
Spirometrie-Pressemeldung der Abteilung
„Evidenzbasierte Medizin“ des MDS:
„Entsprechend unserer Methodik haben
wir eine systematische Recherche nach
systematischen Übersichtsarbeiten und
randomisierten kontrollierten Studien
durchgeführt, um herauszufinden, ob
diese Untersuchung den Patienten zur
Früherkennung nützt und ob Sie möglicher-
weise schaden könnte. Durch die Recherche
wurden zwei methodisch hochwertige sys-
tematische Übersichtsarbeiten identifiziert.
(...) In keiner der beiden Übersichtsarbeiten
konnten für die Fragestellung relevante
randomisierte kontrollierte Studien
gefunden werden und auch wir konnten
keine solchen Studien finden. Die Autoren
der beiden Übersichtsarbeiten raten trotz
fehlender empirischer Daten von einem
Lungenscreening ab.“
Noch Fragen, warum die Bewertungen
sind, wie sie sind? Mit klinischer Expertise
und Verhaltensmedizin hat das alles nichts
mehr tun. Eher mit dem systematischen
Aushöhlen zahnärztlicher und ärztlicher
Kompetenz. Einmal um die Ecke gedacht:
Bei den Krankenkassen angestellte Ärzte
igeln nicht. Also wären sie vertrauens-
würdig(er) als … Womit wir in der Tat bei
der wahren Bedrohung durch diese Art
von IGeL-Bewertungen sind.
Foto: zm-Axentis.de
IGeL-Monitor – eine pseudowissenschaftliche Verunglimpfung
Dr. Uwe Axel Richter
Chefredakteur
*www.igel-monitor.de3
Editorial