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107, Nr. 1, 1.1.2017, (61)

gehörigen hatte er bereits durch seine Praxis

und die Mitgliedschaft in anderen NS-Orga-

nisationen. In Berlin übernahm Blaschke nun

die Leitung des allgemeinen zahnärztlichen

Gesundheitsdienstes im SS-Sanitätsamt.

Neben der konzeptionellen Arbeit zählten

die Prüfung der Haushaltsmittel der bewaff-

neten SS sowie die Leitung der Arbeit der

zahnärztlichen Stationen der SS in Dachau

und Sachsenhausen zu seinen Aufgaben.

Hier wurde besonders das SS-Leitungs- und

Funktionspersonal der dortigen Konzentrati-

onslager behandelt, so dass Blaschke spätes-

tens seit 1935 mit den KZs vertraut war,

denn seine Dienstreisen führten ihn oft dort-

hin. Am 20. April 1939, Hitlers 50. Geburts-

tag, wurde Blaschke zum SS-Standartenfüh-

rer befördert, was dem Dienstgrad eines

Obersts gleichkam. In der Position als SS-

Führer und Zahnbehandler Hitlers betrieb

Blaschke auch Lobbyarbeit für den Berufs-

stand der Dentisten und beschäftigte sich

mit der Frage, wie man die Berufsstände der

Zahnärzte und Dentisten vereinen könne –

zusammen mit „Reichszahnärzteführer“

Ernst Stuck.

Sein Aufstieg in der SS

Mit dem deutschen Überfall auf Polen

begann im September 1939 der Zweite

Weltkrieg. Dem Vernichtungskrieg gegen

die Sowjetunion fielen weit über 22 Millio-

nen Menschen zum Opfer, sechs Millionen

Juden wurden ermordet. Der ehemalige

Unteroffizier Blaschke machte nunmehr eine

rasante Karriere in der SS. 1941 mit dem

Dienstgrad eines SS-Standartenführers als

hauptamtlicher Führer in die Waffen-SS

übernommen, stieg er bis Oktober 1944

zum „SS-Brigadeführer und Generalmajor

der Waffen-SS“ auf. Im August 1943 wurde

er zum „Obersten Zahnarzt beim Reichsarzt-

SS und Polizei“ ernannt. Himmler hatte ihm

den Totenkopfring und Ehrendegen der SS

verliehen und ihn – als den für die zahnärztli-

che Versorgung der SS verantwortlichen SS-

Führer – mit dem Kriegsverdienstkreuz 1.

und 2. Klasse mit Schwertern ausgezeichnet.

Blaschkes Verdienst fasste „Reichsarzt-SS“

Grawitz 1944 in einem Schreiben zusam-

men: Er habe aus dem Nichts, „entgegen

aller Widerstände, die sich insbesondere aus

der bis heute ungeklärten Situation der Aus-

bildung und des Standes der Zahnärzte und

Dentisten ergeben“, die zahnärztliche Ver-

sorgung der gesamten SS, insbesondere

auch der Waffen-SS, geschaffen“.

Ohne dass es anhand von Dokumenten

belegbar ist, muss man davon ausgehen,

dass Blaschke als „Oberster Zahnarzt“ der

SS genaueste Kenntnisse von einem

schlimmsten SS-Verbrechen besaß: dem

Zahngoldraub der in den Konzentrationsla-

gern ermordeten Menschen. In seiner Funk-

tion als Chef des Amtes IV (zahnärztlicher

Dienst) in der Dienststelle „Reichsarzt-SS

und Polizei“ im SS-Hauptamt war er mit der

Organisation der SS genau vertraut, besaß

persönliche Kenntnisse von den KZs und

stand im engen dienstlichen Austausch mit

dem SS-Wirtschafts- und Verwaltungs-

hauptamt, dem die Konzentrationslager

administrativ unterstanden. 1941 begann

der Holocaust, ab 1942 wurden die europäi-

schen Juden in den Vernichtungslagern sys-

tematisch ermordet. Himmler hatte die

Gewinnung von Zahngold verfügt, das den

Leichen nach der Vergasung durch Mitge-

fangene herausgebrochen wurde. Bereits

im Oktober 1942 teilte das SS-Wirtschafts-

und Verwaltungshauptamt Himmler mit,

dass Blaschke über 50 kg Gold von toten

Häftlingen zur Behandlung der SS-Männer

verfügen würde. Dass Blaschke nicht wuss-

te, woher das Gold stammte, ist unwahr-

scheinlich. Der SS-General blieb weiterhin

Hitlers „Leibzahnarzt“ und kam nun auch zu

akademischen Weihen: Der „Führer“

ernannte den Dentisten im Juni 1943 zum

Professor. Folgt man Blaschkes Nachkriegs-

aussagen, war ihm vorher auch der deut-

sche Doktorgrad Dr. med. dent. verliehen

worden. Noch im April 1945 wurde Blasch-

ke auf Hitlers Befehl aus Berlin nach Ober-

bayern ausgeflogen und dort von US-Trup-

pen verhaftet. Sein Vorgesetzter, der

„Reichsarzt-SS“, beging Suizid.

Blaschke entging nach dem Untergang des

„Dritten Reiches“ einer Anklage durch ein

alliiertes Gericht, er wurde lediglich als Zeu-

ge für die Nürnberger Prozesse vernommen.

Im Dezember 1947 wurde er aus dem Nürn-

berger Gefängnis in das Internierungslager

Nürnberg-Langwasser verlegt, dort zunächst

als Hauptschuldiger von einer Spruchkam-

mer zu drei Jahren Arbeitslager verurteilt.

1948 erfolgte ohne weiteres Nachverfahren

eine Neueinstufung: Der ehemalige SS-

General und „Oberste Zahnarzt“ beim

„Reichsarzt-SS und Polizei“ wurde in die

Gruppe der Mitläufer eingereiht und entlas-

sen. Schon wenig später eröffnete Blaschke

in Nürnberg wieder eine eigene Praxis,

wobei er den von Hitler verliehenen Doktor-

und Professorentitel weiterhin führte. Ohne

seine eigene Verantwortung in der SS je

kritisch hinterfragt zu haben, starb er 1960

als angesehenes Mitglied der Gesellschaft.

Jens Westemeier und Mathias Schmidt

Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der

Medizin, Medizinische Fakultät der RWTH

Aachen, Uniklinikum Aachen Wendlingweg 2,

52074 Aachen,

jwestemeier@ukaachen.de

Ende Oktober fand am Institut für Ge-

schichte, Theorie und Ethik der Medizin,

Universitätsklinikum der RWTH Aachen,

unter der Leitung von Prof. Dominik Groß

und Dr. Mathias Schmidt die Fachtagung

„Die Ärzte der Nazi-Führer – Karrieren und

Netzwerke“ statt. Beleuchtet wurden die

beruflichen Biografien der Haus-, Leib-

und Begleitärzte führender Vertreter des

NS-Regimes – auch die von Hugo Johan-

nes Blaschke: Hitlers Leibzahnarzt, der

„Dentist des Teufels“. Ärzte und Medizin-

historiker aus ganz Deutschland zeigten,

dass diese Mediziner führend an den Nazi-

Verbrechen beteiligt waren und sie biswei-

len sogar selbst initiierten.

Nahezu zeitgleich startete am Aachener

Institut für Geschichte, Theorie und Ethik

der Medizin das erste nationale Drittmit-

telprojekt zur Aufarbeitung der Rolle der

Zahnärzteschaft im Nationalsozialismus

(siehe zm 12 und zm 13/2016), das von

der DGZMK, der BZÄK und der KZBV

unterstützt und finanziert wird.

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„Die Ärzte der Nazi-Führer“

Historikertagung Aachen

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