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107, Nr. 4, 16.2.2017, (318)
Dr. Jürgen Fedderwitz
Stellvertretender
Vorstandsvorsitzender KZBV
Foto: KZBV-Baumann
”
Das IQWiG überträgt stur die
Methodik zur Nutzenbewertung von
Arzneimitteln auf die Bewertung klinischer
Studien. Allein randomisierte kontrollierte
Studien, noch dazu verblindet, werden an-
erkannt. Evidenz, die es ja sicher auch in
der Zahnmedizin gibt, gibt es für das
IQWiG nur in der obersten Etage.
Sie haben gerade eine Paro-Fortbildung ge-
bucht? Stornieren Sie! Wollten Sie gar jetzt
im Februar zum Chicago Midwinter
Meeting und sich das Symposium über
„Perio-Systemic Inflammation Reducing
Strategies“ leisten? Fahren Sie lieber an die
Niagara-Fälle, sofern Mr. Trump Sie ins Land
lässt. Und kommen Sie bloß nicht auf den
Gedanken, in neue Paro-Behandlungsgeräte
zu investieren. Rausgeschmissenes Geld! Sie
lesen das Journal of Clinical Periodontology –
an fünfter Stelle von 83 fachspezifischen
Zeitschriften mit seinem Impact Factor von
3,688 ? Zeitverschwendung!
Denn: Einmal Kratzen reicht. Damit richten
Sie zumindest keinen Schaden an!
Im Ernst: Dieser Tage hat das Institut für
Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesund-
heitswesen (IQWiG) seinen Vorbericht
über die „Systematische Behandlung von
Parodontopathien“ vorgelegt. Seitdem
ist die Paro-Welt in Deutschland aus den
Fugen geraten. Das IQWiG hatte vom
Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA)
einen Fragenkatalog zur Parodontalbehand-
lung erhalten und abzuarbeiten. In seinem
nun vorliegenden Vorbericht hat es das
Ergebnis der Nutzenbewertung eindeutig
niedergeschrieben: „Zusammenfassend
lässt sich für die GMT (das IQWiG-Kürzel für
geschlossene mechanische Therapie) im
Vergleich zu keiner parodontitisspezifischen
Behandlung ein Anhaltspunkt für einen
Nutzen ableiten, wohingegen für zusätzlich
zur GMT angewendete Maßnahmen mit
Ausnahme des IHOTEP-Verfahrens kein
höherer Nutzen oder Schaden im Vergleich
zur alleinigen GMT gefunden wurde.“
(Das IHOTEP-Verfahren ist ein individuell
angepasstes Mundhygiene-Schulungs-
programm.)
Für uns Praktiker übersetzt heißt das: Die
geschlossene mechanische Therapie, also
in der GKV die Leistungen BEMA P200
und P201, sind womöglich nutzbringend.
Zumindest gibt es Anhaltspunkte dafür.
Mehr nicht. Alles andere ist nutzlos, aber
gottlob nicht schädlich. Nur reden musst
Du können! Das ist moderne PAR-Therapie
gemäß IQWiG: Einmal kratzen und öfter
(bei Vollmond) besprechen! Sind all die Be-
handlungskonzepte, die die Wissenschaft in
der Parodontologie auf der Basis fachlicher
Erkenntnisse weltweit entwickelt hat, nun in
Deutschland Makulatur? Sie sind weltweit
anerkannt und etabliert. Im Gegensatz zu
vielen anderen Bereichen der Zahnmedizin
und der Medizin wurde gerade in der Paro-
dontologie Grundlagenforschung betrieben.
Es wurden Erkenntnisse gesammelt und
Daten erhoben, die die Wirksamkeit der
Therapieverfahren im Versorgungsalltag
belegen. Konnten wir bei unseren Patienten
so viele Zähne erhalten, weil wir nur aus
Daffke gekratzt haben? Es sind ja nicht nur
wir parodontologisch interessierten Zahn-
ärztinnen und Zahnärzte, nicht nur die
Deutsche Gesellschaft für Parodontologie
(DG Paro), die sich für dumm verkauft fühlen
müssen. Da ist die European Federation of
Periodontology (EFP), ein Verbund von 29
europäischen nationalen Fachgesellschaften,
„devoted to promoting research, education
and awareness of peridontal science and
practice“. Deren nationale Repräsentanten,
die bisher ihre Erkenntnisse und Erfahrungen
regelmäßig abgeglichen haben, sollten zu-
künftig lieber wettangeln als über „Anhalts-
punkte“ zu diskutieren. Die American Aca-
demy of Periodontology (AAP), gegründet
1914, hat nach IQWiG-Kriterien in den
letzten hundert Jahren wohl nur fachlichen
Bullshit erarbeitet. Fakt ist: „Dabei gibt es
wenige Bereiche in der Zahnmedizin, die so
gut wissenschaftlich abgesichert sind wie die
parodontale Therapie“, bestätigt die DG
Paro in ihrer ersten Stellungnahme.
Was also hat das IQWiG zu seinem Fazit ge-
ritten? Es ist die althergebrachte Methodik.
Die Hauptaufgabe des Instituts ist die
Nutzenbewertung von Arzneimitteln. Und
stur überträgt es die Instrumente auf die
Bewertung klinischer Studien (lesen Sie
unsere Titelgeschichte ab Seite 32) – mit
der oben genannten Konsequenz: Der
Großteil der Parodontaltherapie ist nutzlos!
Interessant ist in diesem Zusammenhang, was
das Institut für Qualitätssicherung und Trans-
parenz im Gesundheitswesen (IQTIG), das
sich mehr mit wissenschaftlich aufbereiteter
Qualitätssicherung beschäftigen soll, dieser
Tage in seinem Entwurf eines Methoden-
papiers veröffentlichte: „Ein einzelnes Institut
kann trotz fachlicher und methodischer
Expertise seiner Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter nicht über die Gesamtheit
medizinischen Wissens, klinischer Erfah-
rung, Erfahrung aus Patientenperspektive
und weiterer Spezialkenntnisse verfügen.
Zudem kann dieses Wissen [...] nur teilweise
durch Recherchen generiert werden.“ Zu
den alternativen Fakten des IQWiG sollte
der GBA mal eine Zweitmeinung einholen
...
Alternative Fakten
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Leitartikel