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107, Nr. 12, 16.6.2017, (1438)

„Was löst die Geburt eines Spaltkindes bei

Ihnen aus? Was wissen Sie über diese Fehl-

bildung? Wird die Mutter-Kind-Beziehung

dadurch beeinträchtigt?“ – mit (unter ande-

ren) diesen Fragen konfrontierte Maike

Hermann 107 Mütter von Spaltkindern in

Indien. Die Ergebnisse fließen gerade in ihre

Masterarbeit ein.

Die Interviews waren kompliziert. Die Stu-

dentin musste sich zunächst auf die völlig

anderen Lebensumstände einstellen. Viele

der Familien, die sie besuchen wollte, ver-

dingen sich als Tagelöhner und riskieren

ihren Job, wenn sie der Arbeit einen Tag

fernbleiben. Zudem sind sie auf ihr Tages-

einkommen angewiesen. So kam es vor,

dass die junge Deutsche manchmal nach

fünf Stunden Busfahrt in ein abgelegenes

Dorf im südindischen Bundesstaat Karnataka

trotz Verabredung vor der verschlossenen

Tür einer Hütte stand.

Hatte sie dann eine Interviewpartnerin ge-

funden, wollten die Väter häufig den Raum

nicht verlassen und beantworteten anstelle

der Frauen die Fragen – mit der Aussage,

eine verheiratete Frau wäre doch per se der

gleichen Ansicht wie ihr Ehemann. Wenn

Herrmann es schaffte, allein mit den Frauen

zu reden, brauchte es eine Weile, bis die sich

öffneten.

Auf dem Land liegt es an

der Mutter

In ihren Gesprächen fand sie heraus, dass

gerade in ländlichen Gebieten den Müttern

meist die Schuld an der Fehlbildung ihres

Kindes gegeben wird. Weit verbreitet ist

Lippen-Kiefer-Gaumenspalten

Stigma Spaltkind

Man kann als Nichtbetroffener nur erahnen, wie man sich mit einem „Spaltkind“

fühlt. Maike Herrmann, Psychologiestudentin an der Universität Leipzig, hat im

Rahmen eines fünfmonatigen Praktikums bei der Deutschen Cleft Kinderhilfe e. V.

in Indien 107 Mütter von Spaltkindern interviewt. Wie Hilfseinsätze konzipiert

sein sollten und warum die „Safari-Chirugie“ nicht funktioniert, diskutiert

Alexander Gross, Geschäftsführer der Organisation, in seinem Statement.

Die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte ist

eine der häufigsten Fehlbildungen des

Menschen. Spaltkinder werden überall

auf der Welt geboren.

In Europa geht man von einem Fall auf

500 bis 600 Geburten aus. In Asien kom-

men vermutlich häufiger Kinder mit einer

Spalte auf die Welt, in Afrika weniger.

Stärker betroffen sind Gebiete mit

schlechten Umweltbedingungen – mit

Dioxin oder Kohlenstaub belastete

Regionen oder besondere Höhenlagen

(Anden, Himalaya).

Die Ursachen, die zur Entwicklung von

Lippen-Kiefer-Gaumenspalten führen,

sind bis heute medizinisch nicht abschlie-

ßend geklärt. Genetische Faktoren und

auch verschiedene äußere Faktoren wie

Schadstoffbelastungen von Umwelt und

Nahrungsmitteln, ein Sauerstoffmangel

des Embryos und eine Mangelernährung

der Mutter (Folsäure- und Vitamin-C-

Mangel) spielen eine Rolle.

Wie alt die Kinder zum Zeitpunkt der

ersten OP sind, hängt einerseits davon

ab, mit welchem Alter sie in Spaltzentren

gebracht werden, andererseits aber auch

vom gesundheitlichen Zustand. Oft

sind Spaltkinder unter einem Jahr unter-

ernährt und müssen erst an Gewicht zu-

legen, bevor sie operiert werden können.

Generell wird die Operation der Lip-

penspalte in den Zentren der Deutsche

Cleft Kinderhilfe e. V. ab dem dritten

Monat und die Operation der Gaumen-

spalte frühestens ab dem sechstenMonat

durchgeführt.

www.spaltkinder.org

Zahlen & Fakten

Lippen-Kiefer-Gaumenspalten

Maike Herrmann in Indien bei einer ihrer 107 Interviewpartnerinnen – Mutter eines Spaltkindes.

Alle Fotos: Deutsche Cleft Kinderhilfe e.V.

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Gesellschaft