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zm

107, Nr. 3, 1.2.2017, (204)

Prof. Dr.

Dietmar Oesterreich

Vizepräsident

der BZÄK

Foto: BZÄK-Axentis.de

Lassen Sie uns unsere

präventiven Anstrengungen

neben der „klassischen“ Aufklärung

über die pathogenen Risiken auf die

Faktoren lenken, die den Patienten

gesund erhalten!

Die Zeiten ändern sich und mit ihnen auch

unsere zahnärztliche Professionspolitik. War

es früher Usus, seine Positionen aus den

Praxiserfahrungen aufzubauen und zu

verteidigen, gehört es heute dazu, seine

standespolitischen Forderungen mit wissen-

schaftlichen Erkenntnissen zu untermauern.

Nur so erscheint es möglich, in dem viel-

stimmigen Konzert der Gesundheitspolitik

überhaupt Gehör zu finden. Nicht zuletzt

der – in seiner Ausschließlichkeit durchaus

kritisch zu hinterfragende – Siegeszug der

evidenzbasierten Medizin mit ihren metho-

disch-wissenschaftlichen Anforderungen

zum Wirksamkeitsnachweis von Diagnose-

und Behandlungsverfahren hat uns Zahn-

ärzten gezeigt, wie wichtig es ist, das

Gespräch mit der Wissenschaft zu suchen,

um standespolitische Entscheidungshilfen

an die Hand zu bekommen. Klar erscheint

mir aber auch, dass dieser Kontakt auf

Augenhöhe erfolgen sollte, denn wissen-

schaftliche Erkenntnis und politische Bewer-

tung sind immer zwei Paar Schuhe.

Gerade das Beispiel der evidenzbasierten

Medizin mit ihren harten methodischen

Prinzipien zeigt aber auch, dass diese Studien

fast immer unter kontrollierten und nicht

dem Versorgungsalltag entsprechenden

Bedingungen entstehen, um dann jedoch

Allgemeingültigkeit zu beanspruchen.

Dabei können sie nicht einfach in die

alltägliche Versorgung unserer Patienten

einfließen: Zu verschieden sind Labor- und

Alltagsbedingungen einer konkreten medi-

zinischen/zahnmedizinischen Maßnahme.

Vor diesem Hintergrund können wir es nur

begrüßen, dass sich in den vergangenen

Jahren ein eigener Zweig der Versorgungs-

forschung entwickelt hat, der diese letzte

Meile der Gesundheitsversorgung beforscht

und sich gerade mit den Alltagsbedingungen

der Versorgung auseinandersetzt. Krank-

heitsverständnis und Therapieerfolg werden

aus einer somatischen, psychischen und

sozialen Sicht betrachtet, was die evidenz-

basierte Methodik nicht leisten kann. Dieses

biopsychosoziale Geflecht ist es, das die

Versorgungsforschung im Kern bearbeitet.

Leider ist die Frage nach der Evidenz-

basierung zu einem zentralen Ausschluss-

kriterium für medizinische Leistungen

geworden. Die Versorgungsforschung

ermöglicht uns nun, argumentativ darauf

Einfluss zu nehmen.

Wenn man unsere aktuelle Fünfte Deutsche

Mundgesundheitsstudie (DMS V) zur Hand

nimmt, wird man als Zahnarzt sicherlich

erst einmal erschlagen ob der Fülle der

Ergebnisse. An dieser Stelle möchte ich ein

Thema herausstellen, das bisher nicht so

sehr im Zentrum stand, es aber für mich als

Standespolitiker mit präventionspolitischem

Schwerpunkt in sich hat: die Salutogenese.

Daran lässt sich sehr eindrucksvoll zeigen,

wie gerade sozialwissenschaftliche Erkennt-

nisse und Fragestellungen auch für die

Zahnmedizin nutzbar gemacht werden

können. Verhalten und Befunde stehen bei

vielen Erkrankungen naturgemäß in einem

sehr engen Zusammenhang – speziell da,

wo es um die orale Morbidität als eine stark

verhaltensabhängige Erkrankungsweise

geht. Zentrale Frage der Salutogenese ist,

wie überhaupt „Gesundheit“ entsteht und

durch welche Bedingungen, Prozesse und

Ressourcen sie konstituiert wird, also: Wie

bewahren Menschen ihre Gesundheit?

Schauen wir uns den Einfluss der generellen

Einstellung eines Menschen gegenüber seiner

Umwelt, also seine Lebensorientierung im

Sinne des Kohärenzsinns (Sense Of Cohe-

rence) an, bleibt für die Präventionspolitik

die wichtige Erkenntnis aus der DMS V be-

stehen, dass der Kohärenzsinn offensicht-

lich sehr stark das Mundhygieneverhalten

und das Inanspruchnahmeverhalten von

zahnärztlichen Diensten beeinflusst (Lesen

Sie dazu auf S. 70: „Salutogenese – ein

neues Stichwort für die Zahnmedizin?“).

Wenn wir diese Erkenntnis für die zahn-

ärztliche Präventionspolitik aufnehmen,

ergeben sich meines Erachtens völlig neue

Möglichkeiten für eine mundgesundheits-

bezogene Kommunikation mit unseren

Patienten und der Bevölkerung insgesamt:

Indem wir unsere präventiven Anstrengun-

gen neben der „klassischen“ Aufklärung

über die pathogenen Risiken auf die Stär-

kung patientenseitiger Ressourcen lenken,

also auf die Faktoren, die den Patienten

gesund erhalten – sprich die Förderung

salutogenetischer Schutzfaktoren. Patho-

genetische und salutogenetische Ansätze

schließen sich keineswegs aus, sondern

ergänzen sich idealerweise.

Ich meine, es lohnt sich, diesen Ansatz zu

verfolgen.

Wie entsteht eigentlich Mundgesundheit?

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Leitartikel