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107, Nr. 2, 16.1.2017, (97)
Postfaktisch! Seit dem erfolgreichen Trump-
´schen Wahlkampf um die US-amerikanische
Präsidentschaft ist dieses Wort in kurzer Zeit
ein in unserer Medienlandschaft viel und
gern verwendetes Synonym dafür geworden,
wenn jemand es mit den überprüfbaren
Fakten, vulgo Wahrheit, nicht so genau
nimmt. Nachfolgend die etwas längere,
aber aufschlussreiche Definition auf Wikipe-
dia: „Postfaktische Politik ist ein politisches
Denken und Handeln, bei dem Fakten nicht
im Mittelpunkt stehen. Die Wahrheit einer
Aussage tritt hinter den Effekt der Aussage
auf die eigene Klientel zurück. In einem
nicht postfaktischen oder demokratischen
Diskurs wird dagegen – gemäß dem Ideal
der Aufklärung – über die zu ziehenden
Schlussfolgerungen aus belegbaren Fakten
gestritten. In einem postfaktischen Diskurs
wird hingegen gelogen, abgelenkt oder
verwässert, ohne dass dies entscheidende
Relevanz für das Zielpublikum hätte.
Entscheidend für die von postfaktischer
Politik angesprochenen Wähler ist, ob die
angebotenen Erklärungsmodelle eine Nähe
zu deren Gefühlswelt haben.“
Auch wenn angesichts vorgenannter Defi-
nition diese Schlussfolgerung naheliegend
ist: Es geht an dieser Stelle nicht wirklich um
das derzeit drängendste Thema, das GKV-
Selbstverwaltungsstärkungsgesetz. Auch
nicht um das E-Health-Gesetz, das den
Fahrplan für die Einführung einer digitalen
Infrastruktur sowie die Anwendungen auf
der digitalen Gesundheitskarte vorsieht.
Dieses Gesetz sah die Politik als zwingend
nötig an, um die digitale Gesundheitskarte
und ihre Anwendungen nach mehr als 10
Jahren Entwicklungszeit und enervierenden
Diskussionen rund um den Datenschutz
und der Frage, welche Daten denn nun
wann und wie auf der Karte abgelegt und
von wem gelesen werden dürfen, nicht als
Rohrkrepierer enden zu lassen.
Es geht um die große Welt der digitalen
„Gesundheitsprodukte“, angefangen bei
Apps zur Übermittlung von Daten und nicht
endend bei Unterhemden mit integrierten
Sensoren. An der Sinnhaftigkeit einer
gesicherten und strukturierten digitalen
Kommunikation unter den Heilberuflern be-
steht selbst in Deutschland heutzutage kein
ernsthafter Zweifel mehr. Sobald es aber um
die Frage geht, wem, wann und welche der
gespeicherten Patienteninformation zur Ver-
fügung stehen sollen, driftet die Diskussion
teils weit auseinander in die altbekannten
Lager samt zugehöriger Schützengräben.
Und die Frage nach der Umsetzung einer
unzweifelhaft sinnvollen elektronischen
Patientenakte landet wieder mal auf der
langen Bank, obwohl der Patientennutzen
nicht mehr infrage stehen kann.
Diese Lücke macht sich nun die digitale
Gesundheitswirtschaft breit und verspricht
neben einem Riesenmarkt – man geht laut
dem Beratungsunternehmen Roland Berger
von einem weltweiten Marktvolumen von
über 200 Milliarden Dollar bis 2020 aus –
die digitale Umgestaltung des Gesundheits-
wesens samt Innovationssprüngen, „die das
Potenzial haben, zu einem unverzichtbaren
Bestandteil der vernetzten Gesundheit zu
werden“. Gemeint sind neben den schon
fast obligatorischen 3-D-Druckern auch
Wearables, Apps, Sensoren, Fitnesstracker
und so weiter und so fort. Dank Smartphone
und entsprechender Konnektivität – zum
Beispiel in andere Informationssysteme wie
Praxismanagementsysteme hinein – soll
es gelingen, allseits und jederzeit und am
besten sämtliche aktuellen Informationen
über den Gesundheitszustand eines Indivi-
duums verfügbar zu machen. Ja wem?
Einer Maschine oder einem Heilkundigen?
Und dann?
Was mich an der ganzen Diskussion um die
sogenannte digitale Gesundheit so stört,
ist die unbewiesene Behauptung, dass
Gesundheit entweder von einem selbst
oder mit „sanfter“ Hilfe unserer heutigen
multioptionalen Nanny-Gesellschaft gestalt-
bar ist. Und genau in diese Kerbe schlagen
die Apologeten der digitalen Gesundheits-
wirtschaft. Ich würde so etwas präfaktische
Substanzlosigkeit nennen. Aber leider
gibt es dieses Wort noch nicht, jedenfalls
nicht im Duden. Oder ist es doch schon
postfaktisch?
Foto: zm-Axentis.de
Wenn das Digitale gesund machen soll
Dr. Uwe Axel Richter
Chefredakteur
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Editorial