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107, Nr. 2, 16.1.2017, (102)
Kompositfüllungen – Amalgam in Milchzähnen ist möglich!
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Zum Beitrag „Kompositfüllungen im Milchgebiss: Welche Faktoren entscheiden über Verlust oder Erfolg?“, zm 21/2016, S. 50ff.
Die Autorin schreibt: „Aus um-
weltmedizinischer und pharma-
kologischer Sicht soll heute bei
Kindern und anderen vulnerab-
len Patientengruppen auf die
Verwendung von zahnärztlichen
Amalgamen verzichtet werden
[Robert-Koch-Insitut (sic!), 2007].
In einigen europäischen Ländern
ist ihr Einsatz sogar verboten.“
Die Überschrift dieser RKI-Emp-
fehlung lautet: „Amalgam: Stel-
lungnahme aus umweltmedizi-
nischer Sicht: Mitteilung der
Kommission ‘Methoden und
Qualitätssicherung in der Um-
weltmedizin‘“.
Leider fehlt für das Verbot „in
einigen europäischen Ländern“
der Beleg durch die Autorin. Das
RKI schreibt im Materialienband
zur obigen Empfehlung: „Die
zahnärztliche Anwendung von
Amalgam ist derzeit in keinem
Land verboten.“ Im Text selbst
steht: „Amalgamfüllungen sollen
aus Gründen des vorbeugenden
Gesundheitsschutzes nicht mehr
gelegt werden – bei Sanierungs-
maßnahmen am Milchgebiss
(hier ist zeitlich begrenzte Halt-
barkeit ausreichend, deshalb ist
auch die Verwendung von Kom-
positen, Glas-Ionomeren und
Kompomeren möglich) [...].“
Weder in der RKI-Empfehlung
noch im Materialienband finden
sich weitere klinische Abwägun-
gen. Die RKI-Kommission ver-
weist dafür in ihrem Materialien-
band auf eine Publikation des
BfArm von 2005 mit dem Titel
„Amalgame in der zahnärztlichen
Praxis“. Unter diesem Entwurfs-
titel wurde der Text m. W. nie ver-
öffentlicht. Veröffentlicht wurde
2003/2005 „Amalgame in der
zahnärztlichen Therapie“. Dort
steht (S. 17): „Aufgrund der be-
sonderen Umstände im kind-
lichen Gebiss sowie bei der Be-
handlung von Kindern an sich
sollte indikationsbezogen das
entsprechende Restaurations-
material ausgewählt werden. Da
Amalgamfüllungen zu einer Be-
lastung des Organismus mit
Quecksilber führen können, sollte
aus Gründen des vorbeugenden
Gesundheitsschutzes sorgfältig
geprüft werden, ob eine Amal-
gamtherapie bei Kindern not-
wendig ist. Dies hat unter Berück-
sichtigung einer möglichen Be-
lastung durch andere Restaura-
tionsmaterialien zu erfolgen.“
S. 22: „Aufgrund ihrer chemischen
Zusammensetzung und der Frei-
setzung kleinster Mengen an Mo-
nomeren und kurzkettigen Mole-
külen kann auch für Kompositfül-
lungen und die entsprechenden
Haftvermittler (Adhäsive) ein bio-
logisches „Restrisiko” nicht völlig
ausgeschlossen werden.“
Die Debatte zu Bisphenol A und
anderen aus Kompositfüllungen
freigesetzten Substanzen ist bis
heute nicht abgeschlossen. Eine
Gesundheitsgefährdung durch
Amalgam konnte in einer klini-
schen Studie an Kindern nicht
nachgewiesen werden [Shenker,
2008; Bellinger, 2008].
Statt sich auf klinisch nicht belegte
Risiken zu fokussieren, die primär
Umweltmediziner für relevant
halten, sollten Zahnärzte sich auf
klinische Überlegungen zu realen
Risiken konzentrieren. Hier nun
haben systematische Reviews mit
dem derzeit höchsten verfügba-
ren Evidenzgrad festgestellt, dass
Amalgam- gegenüber Komposit-
füllungen etwa doppelt so lange
halten [Cochrane, 2014; Mora-
schini, 2015]. Gerade junge Kin-
der profitieren von Amalgamfül-
lungen im Milchgebiss, wenn
Füllungen längerfristig halten
sollen und man unnötige Wie-
derholungsbehandlungen ver-
meiden möchte. Und auch für
schwer behandelbare Kinder
oder Zähne, bei denen Komposit
oder Kompomer ohne weitere
Risiken nicht einsetzbar sind
(z. B. Allgemeinanästhesie, keine
sichere Trockenlegung), ist Amal-
gam nach wie vor wertvoll.
Es ist bedauerlich, dass der
Autorin das 1997 vom Bundes-
ministerium für Gesundheit,
dem BfArM, der Bundeszahn-
ärztekammer, der Kassenzahn-
ärztlichen Bundesvereinigung,
der Deutschen Gesellschaft für
Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde
(DGZMK) und der Deutschen
Gesellschaft für Zahnerhaltung
herausgegebene Konsenspapier
„Restaurationsmaterialien in der
Zahnheilkunde“, auf das das
BfArm 2005 sich ausdrücklich
bezog und das die Wahl des Fül-
lungsmaterials in die Hand des
Zahnarztes legt, nicht bekannt
zu sein scheint. Die Orientierung
an schlecht belegter Umwelt-
medizin ist hier ein Irrweg.
Michael Logies, Zahnarzt,
Wallenhorst, in Abstimmung mit
Prof. Dr. Dr. h. c. Georg Meyer,
Universität Greifswald
Literatur:
[Shenker 2008] Shenker BJ,
Maserejian NN, Zhang A,
McKinlay S. Immune function
effects of dental amalgam in chil-
dren: a randomized clinical trial.
J Am Dent Assoc.
2008;139(11):1496–1505.
[Bellinger 2008] Bellinger DC,
Trachtenberg F, Zhang A,
Tavares M, Daniel D, McKinlay S.
Dental amalgam and psychosocial
status: the New England
Children’s Amalgam Trial.
J Dent Res. 2008;87(5):470–474.
doi:87/5/470.
[Cochrane 2014] Rasines Alcaraz
MG, Veitz-Keenan A, Sahrmann P,
Schmidlin PR, Davis D, Iheozor-
Ejiofor Z. Direct composite resin
fillings versus amalgam fillings for
permanent or adult posterior
teeth. Cochrane Database Syst
Rev. 2014;3:CD005620.
doi:10.1002/14651858.CD0056
20.pub2.
[Moraschini 2015] Moraschini V,
Fai CK, Alto RM, Dos Santos GO.
Amalgam and resin composite
longevity of posterior restorations:
A systematic review and meta-
analysis.
J Dent. 2015;43(9):1043–1050.
doi:10.1016/j.jdent.2015.06.005.
Mundakupunktur – Phantasiewelt?
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Zum Beitrag: „40 Jahre Mundakupunktur: Therapie Punkt für
Punkt“, zm 1/2017, S. 34ff.
Mit großem Interesse habe ich Ihren Ausflug in die nicht-nachweis-
basierte Phantasiewelt gelesen. Leider vermisse ich bei dem Thema
Mundakupunktur die Leitlinien. Schließlich kann ein solcher, gerne
auch „ganzheitlich“ betitelter Ansatz gewaltig ein paar Etagen tiefer
landen – gemeint ist hier: er kann „in die Hose“ gehen. Patienten
bräuchten dann vor Gericht doch wohl dringend gutachtentaugliche
Standards, damit sie als Geschädigte neben körperlichem nicht auch
noch finanziellen Schaden erleiden müssen.
Dr. Hans-Werner Bertelsen, Bremen
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