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107, Nr. 4, 16.2.2017, (328)
Was kann, was soll eine solidarisch finan-
zierte Krankenversicherung leisten? Diese
Frage ist durch die Diskussionen um Obama-
care einmal mehr in den Fokus gerückt. In
Deutschland ist diese Frage im Grundsatz
klar beantwortet. Die gesetzliche Kranken-
versicherung stellt alle ärztlichen und zahn-
ärztlichen Leistungen zur Verfügung, die für
die Behandlung einer Krankheit
zwingend erforderlich sind.
Die Solidargemeinschaft
ist aber weder dazu be-
rufen noch dazu in der
Lage, jede Neuerung
oder Weiterentwick-
lung einer Behand-
lungsmethode zu fi-
nanzieren, insbesondere
wenn auch mit einem ge-
ringeren finanziellen Aufwand
ein vergleichbares Behandlungsziel
erreicht werden kann. Der Leistungskatalog
der gesetzlichen Krankenversicherung ist
daher auf das Ausreichende, Zweckmäßige
und Wirtschaftliche beschränkt.
Wie in jedem anderen Fachgebiet macht
aber der Fortschritt auch in der Kieferortho-
pädie nicht beim Ausreichenden, Zweck-
mäßigen und Wirtschaftlichen halt, sondern
führt zu Behandlungsmöglichkeiten und
-apparaturen, die die Behandlung für
den Patienten angenehmer oder schneller
machen. Sind diese Leistungen oder Geräte
im Sinne der GKV nicht wirtschaftlich oder
gehen über das Maß des absolut Notwendi-
gen hinaus, sind sie nicht mehr solidarisch
zu finanzieren. In dem hierdurch entstehen-
den Spannungsfeld zwischen solidarischem
Schutz und Eigenverantwortung des Ver-
sicherten, aber auch der Therapiefreiheit,
bewegt sich die neue Vereinbarung.
Unter dem Eindruck einer medialen Auf-
bereitung von Einzelfällen, in denen dieses
Spannungsfeld einseitig zulasten des Ver-
sicherten aufgelöst wurde, haben – nicht
zuletzt auf Forderungen der Politik hin – die
Kassenzahnärztliche Bundesvereinbarung
und der Berufsverband der Deutschen Kie-
ferorthopäden mit dem Letter of Intent aus
dem Jahr 2015 und der neuen Transparenz-
vereinbarung ein Verfahren geschaffen, mit
dem einerseits die Therapiefreiheit gewähr-
leistet und die Wahlfreiheit des Patienten
sichergestellt wird. Ein solches Verfahren
führt darüber hinaus dazu, dass die behan-
delnden Kieferorthopäden und Zahnärzte
die Sicherheit haben, Leistungen,
die über die gesetzliche Kran-
kenversicherung hinaus
im Einklang mit ihren
vertragszahnärztlichen
Pflichten sind, verein-
baren, erbringen und
abrechnen zu können.
Die Therapiefreiheit, also
die Möglichkeit, die The-
rapie allein anhand zahn-
medizinischer Aspekte zu gestal-
ten, ohne auf die Beschränkungen der
gesetzlichen Krankenversicherung
Rücksicht zu nehmen, hängt
unmittelbar mit der Wahl-
freiheit des Versicherten
zusammen, Leistungen
jenseits der Regelver-
sorgung in Anspruch zu
nehmen. Wie in allen
anderen Bereichen der
Medizin kann der Patient
eine Wahl nur dann treffen,
wenn er umfassend aufgeklärt
wurde. Die Aufklärung muss sich
dabei einerseits auf die zahnmedizinischen
Aspekte beziehen und alle Behandlungs-
möglichkeiten umfassen. Darüber hinaus
muss auch im Hinblick auf die wirtschaft-
lichen Folgen einer solchen Wahl Klarheit
bestehen. Mit der Transparenzvereinbarung
und dem Letter of Intent, auf den die
Vereinbarung Bezug nimmt, sind in An-
lehnung an das Patientenrechtegesetz die
Punkte zusammengefasst worden, über
die der Patient zu informieren ist. So
regelt der Letter of Intent mit seinen
Anlagen insbesondere die medizinische
Aufklärung. Die Anlagen zur Vereinbarung
stellen sicher, dass der Patient über die wirt-
schaftlichen Folgen seiner Entscheidung in-
formiert ist.
Mit den konsentierten Vereinbarungsformu-
laren wird aber nicht nur Transparenz her-
gestellt, es liegt damit zugleich eine Formu-
lierung vor, die sicher Form und Inhalt der
bundesmantelvertraglichen Anforderungen
an eine solche Vereinbarung erfüllt.
Das eingangs dargestellte Spannungsfeld
zwischen Teilhabe am medizinischen Fort-
schritt auf der einen und Solidarität im
Sachleistungssystem auf der anderen Seite
führte darüber hinaus in den vergangenen
Jahren und Jahrzehnten immer wieder zu
Diskussionen darüber, ob eine Teilhabe am
medizinischen Fortschritt auch unter Erhalt
des Sachleistungsanspruchs im Übrigen in
Betracht kommt, mit anderen Worten, ob
der Patient sich für privatzahnärztliche Leis-
tungen entscheiden konnte und trotzdem
die Behandlung grundsätzlich zu-
lasten der gesetzlichen Kran-
kenversicherung erbracht
werden kann.
Auch dies klärt die neue
Vereinbarung. Mit der
Vereinbarung steht fest,
dass die KZVen die
Sachleistung auch dann
vergüten, wenn Teile der
Behandlung nicht zum Leis-
tungskatalog der gesetzlichen
Krankenversicherung gehören. Not-
wendige Bedingung ist natürlich, dass
die abgerechnete Leistung die Voraus-
setzungen des BEMA-Z erfüllt und auch
tatsächlich erbracht ist. Ist also bei einer
einzelnen Leistung die Leistungslegende
des BEMA erfüllt, geht aber die konkrete
Ausführung oder das eingesetzte Material
über die Regelversorgung hinaus, bleibt es
bei einem Sachleistungsanspruch des Ver-
sicherten, der lediglich die durch diese
Mehrleistung entstandenen Mehrkosten zu
tragen hat. Die Vereinbarung sichert damit
die Abrechnung des Sachleistungsanteils
bei Mehrleistungen.
Ein Rahmen für die Transparenz
Dr. Gundi Mindermann, Stephan Gierthmühlen
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