zm
107, Nr. 6, 16.3.2017, (600)
Auch die DGZMK hat eine Stellungnahme
abgegeben mit der Empfehlung, die Latte
bei der Einbeziehung von Studien niedriger
zu legen und von dem Ansatz der „best-
möglichen“ auf den der „bestverfügbaren“
Evidenz überzugehen. Da der IQWiG-Bericht
das Potenzial gefährlicher versorgungs-
politischer Interpretationen birgt, waren die
kritischen Reaktionen der Zahnärzte ange-
messen und notwendig. So weit, so gut.
Man könnte aktuell nun durchaus zu der
Auffassung kommen, dass eine evidenz-
medizinische Methodik für die Zahnmedizin
nicht passfähig und eigentlich nur schädlich
sei. Bei näherem Hinschauen ist es allerdings
nicht ganz so einfach. Aus wissenschaftlicher
Sicht kommt man relativ schnell zu einer
ambivalenten Haltung. Jeder Wissenschaft-
ler kennt das hohe Verzerrungspotenzial bei
klinischen Studien. Stellen Sie sich vor, man
würde retrospektiv zwei Patientenkohorten
zur Nutzenbewertung von herausnehmbarem
Teilersatz auswerten. In der einen Gruppe
waren die Patienten mit Modellgussprothe-
sen, in der anderen mit Teleskopprothesen
versorgt worden. Gehen wir davon aus,
dass die Therapieentscheidung auf den in
Deutschland üblichen Indikationskriterien
beruhte. Sollte sich im Ergebnis letztlich
eine deutliche Unterlegenheit der Modell-
gussprothese zeigen, so würde dies keines-
falls bedeuten, dass dieser Zahnersatz auch
wirklich schlechter wäre, da wahrscheinlich
die Pfeilerwertigkeit bei der Modellguss-
prothese geringer war und sich die Patien-
tengruppen auch noch bezüglich anderer
Merkmale wie Sozialstatus und Mundhygie-
ne unterscheiden könnten. Der Vergleich
zwischen den beiden Therapieformen ist
streng genommen gar nicht zulässig.
Evidenzbasierte Medizin zielt darauf ab,
durch Evidenzbewertung möglichst valide
Informationen für die klinische Praxis zu ge-
nerieren. Aus dieser Perspektive ist es durch-
aus sinnvoll, dabei randomisierte kontrol-
lierte Studien, also hochrangige Evidenz,
heranzuziehen.
Oft fehlen umsetzbare
Studiendesigns ...
Leider müssen wir feststellen, dass derartige
Studien nur sehr eingeschränkt zur Verfügung
stehen. Dieser Mangel an Evidenz in der
Zahnmedizin hat vielerlei Gründe. Sie liegen
nicht nur in der vermeintlichen Inaktivität
der zahnmedizinischen Wissenschaft. Fest-
zustellen ist auch ein gesellschaftspolitisches
Zurückbleiben der Zahnmedizin hinter der
Medizin, das letztlich zu einer Unterförde-
rung und zu einer geringen Zahl von hoch-
rangigen klinischen Studien führt. Zu nen-
nen ist auch die Schwierigkeit, geeignete,
praktisch umsetzbare Studiendesigns zu fin-
den. Oft ist eine Behandlung die Summe
vieler verschiedener Einzelmaßnahmen, de-
ren isolierter Nutzen auch in gut angelegten
Studien kaum feststellbar sein wird. Patien-
tenrelevante Endpunkte wie Zahnverlust
erfordern lange Beobachtungszeiten.
Bestimmte Fragen lassen sich auch aus ethi-
scher Sicht nicht angemessen beforschen.
Bei anderen gibt es einem durchaus zu
denken, warum es weltweit keine entspre-
chenden Studien gibt. Diese Sachlage führt
dann mit einer gewissen Regelmäßigkeit
dazu, dass evidenzbasierte Aussagen zum
Nutzen nur sehr beschränkt möglich sind.
... und die richtigen
Schlussfolgerungen!
Das zentrale Problem, das wir gerade am
Beispiel der Parodontitistherapie diskutieren,
ist aber nicht das Ergebnis, sondern dessen
Interpretation. Denn die Aussage eines nicht
nachweisbaren Nutzens bedeutet nicht,
dass dieser Nutzen nicht in der Realität doch
bestünde. Das Problem ist eine potenzielle
Fehldeutung und die Verwertung derartiger
Ergebnisse für versorgungspolitische Ent-
scheidungen. Oft wird fehlende Evidenz für
ein Verfahren dahin gehend interpretiert,
dass es nicht wirksam und damit klinisch
DGZMK-Präsident Prof. Dr. Michael Walter zur Evidenz-Debatte
Das Problem ist eine potenzielle Fehldeutung
Die vorläufige Nutzenbewertung des IQWiG zur systematischen Behandlung von
Parodontopathien führte zu einem Aufschrei in der Zahnärzteschaft. Das Ergebnis
mit dem fehlenden eindeutigen Nutzennachweis passt so überhaupt nicht in
die zahnärztliche Realität, gehört doch die Parodontitisbehandlung zu den
anerkannten Schlüsselbehandlungen in der Zahnmedizin.
Das Institut für Qualität und Wirtschaft-
lichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
sprach einem Großteil der Parodontal-
therapie den Nutzen ab, weil das Institut
für seine Bewertung ausschließlich Stu-
dien mit hohem Evidenzlevel berück-
sichtigte – die in der Zahnmedizin
in der Regel nicht vorliegen. Doch
warum ist das so? Der Präsident der
Deutschen Gesellschaft für Zahn-,
Mund- und Kieferheilkunde vertritt
eine differenzierte Sicht.
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Die Krux mit der Evidenz
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Politik