zm
107, Nr. 4, 16.2.2017, (343)
… ist die ganze Welt ein Nagel. Nach die-
sem Prinzip scheint der Vorbericht des
IQWiG angefertigt worden zu sein.
Die Regeln, die für die Anfertigung von
Veröffentlichungen des Evidenzgrads Ia
gelten, werden hier noch weiter verschärft
und fordern unter anderem Angaben, die
selbst die derzeitigen Standards für
höchstrangige Publikationen nicht als
erforderlich erachten. Werden
diese Angaben in den
Publikationen nicht ge-
macht, fällt die Arbeit
aus der Bewertung des
IQWiG heraus.
Die Betrachtung welt-
weit etablierter Thera-
pieverfahren ist aber nicht
mit der Überprüfung der
Wirksamkeit eines neuen Medi-
kaments zu vergleichen. Die Qualitäts-
standards für klinische Studien sind in den
vergangenen 25 Jahren ständig weiter-
entwickelt worden, und unter heutigen
Gesichtspunkten halten nur wenige der
älteren Studien diesen Ansprüchen kom-
plett stand. Dieses Problem haben diejeni-
gen, die sich mit dem Evidenzgedanken in
seiner ganzen Breite befassen, seit Langem
erkannt. Längst wird Kritik laut, dass Be-
wertungen von Verfahren und Therapien
nicht sinnvoll sind, wenn die Methodik der
maximal erreichbaren Evidenz in der über-
wiegenden Mehrzahl zu dem Ergebnis
kommt, dass eine Beurteilung mangels
ausreichend guter Studien nicht möglich
sei. Längst wird gefordert, die Aussagen,
die auf niedrigeren Evidenzstufen beruhen,
mit den nötigen Einschränkungen ihrer
Aussagekraft, aber trotzdem in ihrem
Inhalt dargestellt und in Empfehlungen
einbezogen werden.
Dies ist keine Abkehr vom Evidenz-
gedanken. Im Gegenteil, durch
diese Herangehensweise wird
Evidenzbasiertheit zu einem
brauchbaren Fundament für
die Entscheidungsfindung
und verliert sich nicht in
akademisch anspruchsvollen
aber letztlich nicht zielführen-
dem Klagen über das Fehlen von
Evidenz. Genau das ist bei der Vorgehens-
weise des IQWiG geschehen. Es kann
kaum eine Aussage getroffen werden. Der
Umkehrschluss, dass deswegen keine
Wirksamkeit existiere, ist allerdings un-
zulässig. Vielmehr ist das eingesetzte
Instrumentarium für die Bewertung der
vorhandenen Evidenz nicht geeignet. Um
im Bilde zu bleiben: Hier werden mit dem
Hammer Schrauben bearbeitet, und wenn
es nicht funktioniert, sind die Schrauben
schuld daran.
Prof. Dr. Christof Dörfer, Kiel
Wenn man nur einen Hammer hat, ...
STATEMENT PROF
.
CHRISTOF DÖRFER
Foto: DG Paro
Foto: [M] zm-mg, IQWIG, Fotofabrika/mekcar-Fotolia, ProDente
geschlossenen mechanischen Therapie
(GMT) und einem individuell angepassten
Mundhygiene-Schulungsprogramm, exis-
tieren vorgeblich Studiendaten, die einen
Anhaltspunkt für einen höheren Nutzen
zeigen können. Alle anderen Behandlungs-
therapien? Nutzlos, so das IQWiG.
Wie kann das Institut zu solch einem
Ergebnis kommen? Gibt es doch weltweit
zahlreiche systematische Übersichtsarbeiten,
die die Effektivität der systematischen
Parodontaltherapie einschließlich einer
lebenslang unterstützenden Nachsorge
konsentieren.
Laut IQWiG sind die Studien angeblich
„nicht verwertbar“. Die Argumentation:
„Die Behandlungsergebnisse wurden nicht
in einer dem jeweiligen Studiendesign an-
gemessenen Weise ausgewertet.“ Die Krux
liegt also in der Evidenz. Lesen Sie mehr
dazu im nachfolgenden Artikel.
nh
Das Ergebnis enttäuscht natürlich all die-
jenigen, die tagtäglich über Jahre und
Jahrzehnte wissenschaftlich arbeiten und/
oder in der Praxis mit Parodontitis und
Periimplantitis kämpfen. Das Ergebnis
(keine Aussage zur strukturierten Nachsor-
ge aus Mangel an Primärquellen) kann
interessierten Kreisen dazu dienen, zu
sagen: Wir brauchen in Deutschland kei-
nen zusätzlichen Beruf, der die niederge-
lassenen Zahnärzte in ihrem Kampf für
eine parodontale Langzeitgesundheit ih-
rer Patienten unterstützt.
Das IQWiG hat aber auch eine Umfrage
unter Patienten gemacht und festgestellt,
dass es den Patienten hauptsächlich um
individuelle persönliche Lösungen geht.
Die Aussagen zur halbjährlichen Nachsorge
und den privaten Kosten zeigen auf, dass
hier die Patienten klarere Vorstellungen
haben als von den interessierten Kreisen
gedacht. Das von vielen geforderte Sys-
tem System – a. Erstbehandlung als Kas-
senleistung, b. die wissenschaftlich gefor-
derte Nachsorge durch eine qualitativ
dem höchsten Standard verpflichtete
Dentalhygienikerin, aber privat bezahlt –
sollte endlich angedacht werden.
Denn letzten Endes entscheidet der Pa-
tient, welche Therapieform er haben
möchte. Und was er dafür zahlen will.
Dr. Jörg Junker, Berlin
Der Patient will die Therapie. Und dafür zahlen.
STATEMENT DR
.
JÖRG JUNKER
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