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107, Nr. 4, 16.2.2017, (345)
das IQWiG für die chirurgische Parodontitis-
therapie aufzeigen. Modifizierte Widman-
OP, chirurgische Taschenelimination, Osteo-
plastik – allesamt sinn- und nutzlos? Oder
sogar schädlich? Ebenso wurde für die meis-
ten übrigen untersuchten Interventionen
(u. a. systemische/lokale Antibiose, Laser-
therapie, photodynamische Therapie) kein
Anhaltspunkt für einen Nutzen gefunden.
Lediglich eine besondere Form der Mund-
hygieneinstruktion, die den Prinzipien der
kognitiven Verhaltenstherapie folgt und für
die eine psychologische Expertise erforder-
lich ist (ITOHEP-Verfahren), konnte mit einem
– ebenfalls schwachen – Nutzennachweis in
Form eines „Anhaltspunktes“ belegt werden.
Völlig unverständlich ist, dass die struktu-
rierte Nachsorge (UPT) aufgrund „fehlender“
Primärstudien ebenfalls ohne einen Anhalts-
punkt für einen Nutzen blieb.
Der Grund für dieses unfassbare Ergebnis ist
ein übersteigertes Sicherheitsbedürfnis des
IQWiG. Nach der Strategie „lieber Gürtel und
Hosenträger“ wird versucht, methodische
Unschärfen zu minimieren. Und wenn das
nicht geht, dann fällt die entsprechende
Publikation gänzlich aus der Betrachtung
heraus. Sie findet keine Berücksichtigung
und die hierin nachgewiesenen Effekte zu
verschiedenen Interventionen fließen nicht
in die Bewertung ein.
Unsicherheit minimieren
oder Studien eliminieren
Fast schon vermessen ist die Begründung
für den Ausschluss der international recher-
chierten Studien, die nicht der höchsten
Evidenzstufe entsprechen, also keine
randomisiert kontrollierten Studien (RCTs)
sind. Für das IQWiG sind RCTs zu den Frage-
stellungen (theoretisch) möglich und
durchführbar. Damit wird ein Grundprinzip
der evidenzbasierten Medizin ausgehebelt.
Nicht die „bestverfügbare“, sondern die
theoretisch „bestmögliche“ Evidenz soll
betrachtet werden. Offen bleibt auch, ob
das vom IQWiG eingeforderte RCT aus
ethischen Gründen heraus überhaupt reali-
sierbar erscheint. Der Kontrollgruppe eine
nachgewiesenermaßen nützliche Interven-
tion vorzuenthalten, ist zumindest zu hinter-
fragen. Vermessen auch deshalb, weil sich
damit das IQWiG dazu aufschwingt, indirekt
die Kriterien für wissenschaftliche Studien
vorzugeben. Machen andere Organisationen,
beispielsweise die Cochrane Collaboration,
es nicht bereits gut genug?
Die Folgen sind weitreichend: Zum einen
wird mit dieser Methodik die gesamte
wissenschaftliche Hinterlegung der Zahn-
heilkunde negiert und eliminiert, so dass die
meisten zahnmedizinischen Verfahren ohne
Nutzennachweis bleiben müssen. Die erbe-
tene Antwort auf die Frage „Ist Therapiever-
fahren A besser oder schlechter als Therapie-
verfahren B?“ bleibt aus. Der eigentliche
Zweck des Berichts, eine evidenzbasierte
Entscheidunggrundlage für das System be-
reitzustellen, wird verfehlt.
Zum anderen kommen andere internationale
Fachgesellschaften und Organisationen auf
Basis derselben weltweiten Studien zu
anderen Schlussfolgerungen für den Nutzen
einer Intervention und der Anwendung im
jeweiligen Gesundheitssystem.
Exemplarisch sei hier auf die Stellungnahmen
der American Academy of Periodontology
(AAP) verwiesen. Die hier getroffenen Emp-
fehlungen zur ergänzenden systemischen
Antibiotikagabe und die Bedeutung der
unterstützenden mechanischen Nachsorge-
therapie (UPT) werden im IQWiG-Vor-
bericht nicht nachvollzogen, weil keine
Primärstudien vorlagen, die den strengen
Einschlusskriterien des IQWiG genügen.
Nonchalant wird die internationale Fach-
expertise für bedeutungslos erklärt.
Erhebliche Konsequenzen hat auch die
nächste Auswahlstufe: die statistische Aus-
wertung. Mit den Prinzipien der medizi-
nischen Statistik und der Biometrie werden
die Daten und Ergebnisse aus den (wenigen)
Studien – die die Gnade des IQWiG im ers-
ten Schritt der Evidenzbewertung gefunden
haben – geprüft. Hierbei werden Effekt-
maße wie die Odds-Ratio oder Hedges‘g
verwendet. Für solche Berechnungen sind
aber noch über die eigentlichen Studien-
daten hinaus weitere Parameter erforder-
Auf 257 Seiten schreibt das IQWiG, dass
Lappenoperationen und die zusätzliche
Gabe von Antibiotika keinen zusätzlichen
Nutzen zum geschlossenen Vorgehen
(geschlossene mechanische Therapie:
GMT) bei der Parodontitistherapie haben.
Nur für die geschlossene subgingivale
Instrumentierung findet das IQWiG einen
Anhalt (nach Beleg und Hinweis die
schwächste Form der Entschei-
dungsgrundlage) für einen
zusätzlichen Nutzen gegen-
über keiner Behandlung:
subgingivales Scaling re-
duziert Zahnfleischbluten.
Natürlich führt Scaling
auch zu besseren Attach-
mentgewinnen als keine
Behandlung, aber der Vergleich
von Mittelwerten reicht dem IQWiG
nicht als Bewertungsgrundlage. Für den
Nutzen der strukturierten Nachsorge
(unterstützende Parodontitistherapie:
UPT) findet das IQWiG ebenfalls keinen
zusätzlichen Nutzen. Retrospektive Kohor-
tenstudien, die eindrucksvoll zeigen, dass
nach 10 Jahren mit regelmäßiger UPT
weniger Zähne verloren werden, als nach
10 Jahren ohne regelmäßige Nachsorge,
reichen dem IQWiG nicht. Freundlicher-
weise hat das IQWIG in diesem Zusam-
menhang aber in eigener Initiative eine
Studie veranlasst und fragte Patienten
nach ihren Erwartungen an eine Zahn-
fleischbehandlung. Und da stand
Zahnerhalt an erster Stelle
der Patientenpräferenz. Also
genau das, worum es bei
strukturierter Nachsorge
geht. Heißt das jetzt, dass
– außer GMT – parodontale
Therapie, wie wir sie seit
Jahrzehnten erfolgreich be-
treiben (siehe 5. Deutsche Mund-
gesundheitsstudie), ungeeignet ist?
Nein, ungeeignet sind die Methoden des
IQWiG den zusätzlichen Nutzen parodon-
taler Therapie zu zeigen!
Prof. Dr. Peter Eickholz, Frankfurt/Main
UPT nutzlos? Oder IQWiG-Methoden nutzlos?
STATEMENT PROF
.
PETER EICKHOLZ
Foto: privat
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