

zm
107, Nr. 11, 1.6.2017, (1363)
Dabei liegt die Praxis Carl in einem 1975
errichteten Betonbau – eine eher unge-
wöhnliche Umgebung für ein grünes Vor-
zeigeprojekt. Die Verwandlung begann vor
20 Jahren, weil sich die Praxis im Sommer zu
sehr aufheizte. Es gab zwei Lösungsmög-
lichkeiten für das Problem: „Man kann dafür
eine Klimaanlage installieren und die
CO
2
-Bilanz typischerweise verschlechtern –
oder ein Gründach und diese verbessern.
Beide Optionen funktionieren, wir haben
uns für das Gründach entschieden. Und
danach haben wir die Umgestaltung eines
Betonbaus einfach sportlich gesehen.“
Gebäude fressen Ressourcen
Zu den nächsten Schritten gehörte die Opti-
mierung von Energieversorgung und Wärme-
schutz durch zusätzliche Fassadenbegrünung,
den Einbau einer Brennwertheizung und die
Nutzung von Solartechnik für die Warmwas-
sererzeugung. Das macht sich bezahlt, wie
das Ehepaar berichtet: „Die Heizkosten sind
drastisch gesunken, ummehr als 30 Prozent,
die Energiekosten im letzten Jahrzehnt ins-
gesamt stabil geblieben, inflationsbereinigt
also tendenziell gesunken.“
Auch bei den verwendeten Produkten ach-
ten die Zahnärzte auf Umweltverträglichkeit
und Abfallbilanz: So kommen zum Beispiel
Sterilgutlagercontainer statt Einmalver-
packungen zum Einsatz, Carpulensysteme
zur Lokalanästhesie statt Einmalspritzen. Die
Röntgentechnik läuft digital. Für weitere
Maßnahmen bleiben Regine und Wolfgang
Carl offen. Eine geplante Photovoltaik-
Anlage zur gesamten Stromerzeugung er-
wies sich im Augenblick steuerlich als zu
kompliziert. Doch auch Kleinigkeiten arbeiten
mit an der Ökobilanz: etwa die Anschaffung
einer Zeitschaltuhr für ein Untertisch-Warm-
wassergerät. Da die Toiletten der Praxis
nicht durch die solarthermische Anlage mit-
versorgt werden konnten, überlegten sich
die St. Ingberter Zahnärzte etwas anderes:
„Das Warmwassergerät muss ja nicht 24
Stunden am Tag, sieben Tage die Woche
durchheizen. Also haben wir uns für weni-
ger als zehn Euro im Baumarkt eine Zeit-
schaltuhr besorgt und die Praxiszeiten ein-
programmiert.“ Der Spareffekt ist vielleicht
nicht gigantisch, aber auch ein kleiner öko-
logischer Gewinn kann befriedigend sein.
Es gibt viele Wege zur grünen Zahnarzt-
praxis – ob nun aufwendig gebaut wird
oder man die vermeintlich kleinen Dinge
des täglichen Betriebs verändert. Dass einige
wenige Zahnarztpraxen zur ökologischen
Vorhut zählen, beweisen Projekte wie das
Holzhaus von Schöneiche oder die Praxis
Mondzorg im niederländischen Midden-
meer. Mondzorg wurde aus dem Holz hei-
mischer Bäume errichtet, nutzt ein Grün-
dach und Efeu zur Klimaregulierung und
natürliche Stoffe auf der Grundlage von
Holzfasern und Muscheln für die Däm-
mung. Die Praxis sieht aus wie ein Ferien-
haus – und die Patienten lieben es.
Wer umbaut, nutzt die
graue Energie
Wie genau könnte eine „Green Dentistry“
aussehen? Zunächst ein Blick aufs große
Ganze: Am Anfang stellt sich oft die Frage
„Neubau oder Umbau?“. Hier gilt: Umbauen
ist nachhaltiger. Denn in jedem existieren-
den Bau steckt schon all die Energie, die zu
seiner Errichtung „verbraucht“ wurde –
man nennt das graue Energie. Die Baustoffe
wurden bereits hergestellt, transportiert
und verbaut, der Boden versiegelt. Die Mo-
dernisierung eines bestehenden Gebäudes
schont aber nicht nur Ressourcen. Auch der
Standort ist bereits erschlossen und Teil
einer gewachsenen Baukultur. Das Gebäude
wirkt vertraut – ein Pluspunkt für die Akzep-
tanz bei den zukünftigen Patienten.
Aber: Vorsicht vor Schadstoffen und anderen
Altlasten. Belastende Stoffe wie Asbest, Form-
aldehyd, Pestizide & Co. sind in heutigen
Baumaterialien zwar verboten, können beim
Umbau aber wieder ans Tageslicht kommen
und zum – eventuell kostspieligen – Sanie-
rungsfall werden. Das bestehende Gebäude
sollte also zunächst einmal auf seine baubio-
logische Gesundheit untersucht werden – und
dann auf seinen Energieverbrauch. Was muss
in Wärme- und Schallschutz investiert werden?
Und wie hoch ist der Aufwand, um den vor-
handenen Grundriss mit den Erfordernissen
einer Zahnarztpraxis in Einklang zu bringen?
Wie sieht es mit der Barrierefreiheit aus?