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zm

107, Nr. 11, 1.6.2017, (1366)

Mehr als Design und

Ökobewusstsein: Der

Innenarchitekt James

Küster im Interview.

Spezialist für grüne Praxen

M

EHR AUF ZM

-

ONLINE

Beim Strom Sparen helfen am besten ein

Standort und eine Fensterplatzierung, die so

viel natürliches Licht wie möglich bieten.

In Sachen künstliche Beleuchtung haben

LEDs die beste Bilanz: Sie halten lange, ver-

brauchen im Vergleich zur Glühbirne erheb-

lich weniger Elektrizität und kommen ohne

giftige Chemikalien aus. Auch Tageslicht-

sensoren, die das benötigte künstliche Licht

je nach Sonnenlichteinfall anpassen, senken

den Energieverbrauch. Ebenso ein program-

mierbarer Thermostat, um die Praxis nicht

übermäßig zu beheizen oder zu kühlen –

und natürlich eine gute Dämmung und

Isolierung. Einige Zahnarztpraxen weisen

inzwischen auf ihren Webseiten darauf hin,

dass sie reinen Ökostrom beziehen. Das

spart zwar augenblicklich keine Kosten,

ist aber ein Nachhaltigkeitsplus und wird

vielleicht auch von den Patienten wahrge-

nommen und geschätzt.

So spart die Praxis Strom

Eine Option zur Warmwassererzeugung

für die Praxisversorgung ist eine solar-

thermische Anlage. Der gesamte Wasser-

brauch lässt sich durch die Installation von

Dual-Flush-Toiletten und hygienischen Be-

wegungssensor-Wasserhähnen reduzieren.

Und für manche Praxen kommt bei Neubau

oder Renovierung auch eine Zisterne für

das Brauchwasser der Toilettenspülungen

infrage.

Wer allerdings darüber nachdenkt, per

Photovoltaik seinen eigenen Strom zu ge-

winnen, sollte sich erst steuertechnisch

schlau machen, wie das Beispiel der St. Ing-

berter Zahnärzte zeigt. „Unsere Zahnarzt-

praxis verbraucht im Jahr etwa 12.000 Kilo-

wattstunden Strom. Das ist schon relevant.

Also haben wir uns überlegt: Wenn wir

den Strom selbst produzieren, dann können

wir ihn auch selber benutzen“, sagt Wolf-

gang Carl. Doch der Steuerberater warnte,

dass der selbst gewonnene überschüssige

Strom auch ins Netz eingespeist werden

muss. Damit wird der stolze Photovoltaik-

Betreiber aber automatisch zum Unter-

nehmer und somit tendenziell gewerbe-

und mehrwertsteuerpflichtig. Nur, falls die

Praxis ohnehin schon der Gewerbe- und

Mehrwertsteuerpflicht unterliegt, lohnt sich

die technische Aufrüstung.

Reduce – Reuse – Recycle

Aber auch kleine Veränderungen im Praxis-

alltag summieren sich. Etwa am Empfang:

Da frisst ein endlos vor sich hin laufender

Screensaver kontinuierlich Energie, während

ein früheres Umschalten auf den schwarzen

Bildschirm günstiger wäre. Digitale Kommu-

nikation, wo immer möglich, spart Papier –

und der Gebrauch von Recyclingpapier

schont Ressourcen.

Achten Sie beim Kauf neuer elektronischer

Geräte auf Umweltlabel, ob das Computer

oder Drucker sind – oder auch der Kühl-

schrank im Mitarbeiterraum. Und wie sieht

es mit der Mülltrennung aus – oder schöner

gesagt: dem Abfallmanagement? Meist lässt

sich noch etwas verbessern. So landen zum

Beispiel in der St. Ingberter Praxis benutzte

Papierhandtücher nicht im Restmüll, denn

sie lassen sich kompostieren und sind in

der Regel keimarm. Am Behandlungsstuhl

könnten Becher aus Recycling-fähigem Ma-

terial die üblichen Plastikbecher ersetzen.

Und der Kauf von Großpackungen reduziert

die Müllbilanz.

Wer weniger umweltschädliche Stoffe ver-

wenden möchte, kann, wo immer es geht, auf

biologisch abbaubare Reinigungsprodukte

umsteigen, mit digitalem Röntgen die Ent-

wicklerchemikalien sparen und komplett auf

Amalgam verzichten. Manchen Bestrebungen

zur Abfallvermeidung und Nachhaltigkeit

stehen in einer Zahnarztpraxis allerdings

die Hygienebestimmungen entgegen – ein

echter Spagat. „Der Trend in der Hygiene

geht leider eher zu Einmalprodukten wie zum

Beispiel Einmal-Absaugkanülen oder -Spray-

aufsätzen“, sagt Dr. Karsten Heegewaldt,

Präsident der Zahnärztekammer Berlin.

„Europa- und deutschlandweit werden

Zahnärztinnen und Zahnärzte ständig mit

neuen Hygienevorschriften konfrontiert. Diese

Gesetze und Verordnungen machen eine

‚nachhaltige‘ Hygiene in unseren Praxen

bedauerlicherweise fast unmöglich.“

Auch Wolfgang Carl betont: „Im Zweifelsfall

ist Hygiene das Wichtigste. Aber die Hygiene-

kontrollen und Praxisbegehungen durch die

entsprechenden Behörden sind teilweise

auch überzogen, überbürokratisiert und

nicht immer von Sachkenntnis geprägt.

Man muss sich als Praxisinhaber überlegen:

Wo positioniere ich mich da?“

Etwa beim Thema Einwegprodukte. „Wenn

ich etwas einschweiße, zum Beispiel eine

Extraktionszange, dann produziere ich

zusätzlichen Einwegmüll. Wenn ich einen

Sterilgutlagercontainer verwende, muss ich

natürlich den Container auch sterilisieren,

aber das ist kein großer Mehraufwand und

ich reduziere dadurch Müll. Unter Umstän-

den spare ich sogar Aufwand und Arbeits-

zeit unserer Mitarbeiterinnen, die nicht mehr

jede Zange einzeln einschweißen müssen.“

Und was zahntechnische Arbeitsgeräte

betrifft, wünscht sich „Green Dentistry“-

Experte Küster ein Umdenken der Geräte-

hersteller. Denn erst wenn die Industrie die

Nachhaltigkeit mitdenkt, kommt sie ganz

automatisch in jeder Praxis an.

Eine Frage der

Verantwortung

Ob sie es nun ökologische Zahnmedizin

nennen, Green Dentistry oder Bio-Praxis –

viele Zahnärzte machen sich nicht nur über

die Schonung der natürlichen Ressourcen

im Mund Gedanken, sondern auch außer-

halb. Das hat Vorteile: einmal ganz handfest

auf der Ebene der Betriebskosten und bei

einer möglichen Wertsteigerung des Ge-

bäudes. Außerdem wissen manche Patienten

die soziale und ökologische Unternehmens-

verantwortung sehr zu schätzen. Und der

nachhaltige Blick bringt das schöne Gefühl

mit sich, Richtung Zukunft zu denken.

Prophylaxe eben.

Sonja Schultz

Fachredakteurin aus Berlin

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Praxis