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107, Nr. 12, 16.6.2017, (1452)
Wahrlich eine Provokation! Selbstverständ-
lich geht die Rechnung so nicht auf, denn
genauso gut hätte man zeigen können,
dass steigende Kariesprävalenzen mit dem
zunehmenden Gebrauch fluoridierter Zahn-
pasten korrelieren. Dahinter steht aber die
Frage, ob die zur Verfügung stehenden
Behandlungskonzepte und -techniken eher
präventiven Charakter haben und darauf
ausgerichtet sind, eine weitere Progression
der Erkrankung einzudämmen – oder aber
ob ein eher mechanistisches Verständnis
vorherrscht, das lange Zeit eine technisch-
reparative anstelle einer biologisch-präven-
tiven Behandlungsmaxime zur Folge hatte.
„Extension for Prevention“
Historisch betrachtet stammt dieser Ansatz
aus der Ära Greene Vardiman Blacks zu
Beginn des 20. Jahrhunderts und gipfelte
in dem Postulat „Extension for Prevention“.
In seinem Buch „Konservierende Zahnheil-
kunde“ ist nachzulesen, was damit gemeint
war: „Der Schmelz ist in Säure löslich,
und wenn der Rand innerhalb des Bezirks
der Empfänglichkeit für Karies liegt, kann
die Karies leicht in der unmittelbaren
Umgebung des Randes wieder auftreten,
und die Füllung wird rasch unterminiert.
Darum müssen wir, wenn unsere Füllungen
schützen sollen, die Zone der Empfänglich-
keit der betreffenden Zahnfläche studieren
[...] und bei der Präparation die Ränder
so verlegen, dass die ganze gefährdete
Oberflächenpartie von der Füllung einge-
nommen wird“ [Black, 1914]. Gemeint war
damit, dass der Übergang von Amalgam
zum Zahnschmelz vor allem im Interdental-
raum möglichst klein gehalten werden
sollte, um Karies an Restaurationsrändern zu
vermeiden. Praktisch bedeutete dies, dass
möglichst viele Füllungsrandanteile nach
subgingival zu verlagern waren: Extension
for Prevention eben.
Seitdem haben sich die zur Verfügung
stehenden Behandlungskonzepte und
-techniken weiterentwickelt. Als eine der
größten Errungenschaften in diesem
Zusammenhang kann der präventions-
orientierte Paradigmenwechsel in der Zahn-
heilkunde bezeichnet werden, der in
Deutschland mit der Einführung der Indi-
vidual- und Gruppenprophylaxe eingeleitet
wurde. In diesem Licht ist es interessant
zu analysieren, wie sich die Mundgesund-
heit seitdem entwickelt hat – und zwar in
Abhängigkeit von der Inanspruchnahme
zahnärztlicher Dienstleistungen. Daher soll
DMS V im Fokus: Präventionsorientierte Inanspruchnahmemuster
Von der Zahnarztpraxis
zum Mundgesundheitszentrum
A. Rainer Jordan
„The dentition is intended to last a lifetime“ hieß ein Aufsatz von 1984, der in
der Fachwelt für Aufsehen sorgte [Ainamo/Ainamo, 1984]. Die Autoren zeigten,
dass völlige Zahnlosigkeit in der Entwicklungsgeschichte des Menschen eigentlich
nicht vorkommt. Mit Daten aus den 1960ern und 1970ern belegten sie aber auch,
dass etliche Männer und Frauen in vielen Ländern bereits mit 35 bis 44 Jahren
vollständig zahnlos waren – und kamen zu dem Schluss, dass „the dental pro-
fession itself [...] created the edentulous populations of today“ – die Zahnmedizin
also selbst erst die zahnlose Bevölkerung erschafft.
Akute Karieserfahrung bei Zwölfjährigen
Anzahl Zähne
DMS I/II*
0,0
0,5
1,0
1,5
2,0
2,5
3,0
DMS III
DMS IV
DMS V
kontrollorientierte
Inanspruchname
beschwerdenorientierte
Inanspruchname
* Wert für13/14-Jährige
Abbildung 1: Trendverlauf der aktuellen Karieserfahrung (DT) bei 12-jährigen Kindern von
1989/1992 (DMS I/II) bis 2014 (DMS V) nach zahnärztlichem Inanspruchnahmeverhalten
Quelle: IDZ
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Zahnmedizin