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107, Nr. 9, 1.5.2017, (1074)
Bei der langsamen Extrusion mit geringen
Kräften (10 bis 30 cN) wird das umliegende
Gewebe mit extrudiert [Buskin R. et al.,
2000]. Die Migration der Gewebe setzt
gesunde Parodontalverhältnisse voraus.
Bei der Extrusion mit mittleren Kräften
werden die Werte von 100 bis 200 cN [Mehl
C. et al., 2008; Bondemark L. et al., 1997]
angegeben. Nennenswert wäre in dieser
Kategorie beispielsweise die etwas sehr
aufwendige Extrusion mit Magneten [Mehl
C. et al., 2008].
Auf histologischer Ebene entspricht die for-
cierte Extrusion mit extrem hohen Kräften
der vertikalen, desmodontalen Distraktion
von Zähnen. Die massive Krafteinwirkung
führt über immunhistochemische Prozesse
zu einer Aktivierung des Knochenstoff-
wechsels [Wilmes B. et Drescher D., 2009]
und zur Mitnahme aller parodontalen
Strukturen. Standardisierte Messungen im
Labor zeigen Kräfte zwischen 200 bis
850 cN je nach Wegstrecke, Krafteinleitung
und Auswahl der Gummizüge. Die Kraft-
einwirkung der Gummizüge verringert sich
über die Tragedauer.
Anders als bei ankylosierten Zähnen [Wilmes
B. et Drescher D., 2009] scheint bei der for-
cierten Extrusion jedoch keine kontinuier-
liche Krafteinwirkung erforderlich. Bei einem
Ösenband (Fa. Ormco
®
) mit 850 cN initialer
Krafteinwirkung konnten wir nach zwei
Tagen einen Kraftverlust – bei gleichbleiben-
der Distanz – von rund 50 cN messen, nach
vier Tagen von etwa 100 cN. Der Kraftver-
lust bei Gummiringen ist im Regelfall deut-
lich höher und schneller. Wichtiger als die
Distanz selbst ist rein physikalisch gesehen
die Richtung der Zugvektoren. Erstrebens-
wert wäre ein möglichst vertikaler Zug der
Gummizüge. Die bei der hier vorgestellten
forcierten Extrusion gemessenen Kräfte
liegen deutlich über den Werten der langsa-
men und der mittleren Kategorien. Die
vertikale, desmodontale Distraktion scheint
unter dem Begriff der forcierten Extrusion
geläufiger zu sein und wird so auch im Ver-
lauf dieses Artikels weiterhin benannt.
Zwei Fallbeispiele
Fall 1: Spätbehandlung einer parodontolo-
gisch induzierten Paro-Endo-Läsion
Bei Zahn 36 zeigte sich zu Beginn der
Behandlung eine massive Osteolyse (Abbil-
dung 8). Die anfängliche Diagnose lautete:
massiv vorangeschrittene Paro-Endo-Läsion
mit Osteolyse von rund 80 Prozent mit Fur-
kations- und Lockerungsgrad von jeweils III
und mit Pusaustritt aus einer vestibulären
Fistel. Daher war die Prognose: nicht erhal-
tungswürdiger Zahn.
Um eine spätere, aufwendige Augmentation
zu vermeiden und über einen längeren Zeit-
raum knochenregenerativ wirken zu können,
sollte Zahn 36 vor der späteren Extraktion
forciert aus der Alveole bewegt werden. Die
insuffiziente Wurzelbehandlung spielte zu
diesem Zeitpunkt aufgrund der infausten
Prognose keine Rolle.
Nach forcierter Extrusion (Abbildung 9) mit
vier Gummiwechseln innerhalb von acht
Tagen und einer ersten Stabilisierungsphase
zeigten sich im Röntgenbild (Abbildung 10)
erste, deutliche Reossifkationen.
Zu Beginn der Extrusion wurden die Taschen
vorsichtig ausgespült, wobei ein Flüssigkeits-
austritt aus dem Fistelgang gut zu beobach-
ten war. Einleitend wurde auf ein Deep
Scaling oder Ähnliches verzichtet. Die Fixie-
rung wurde daraufhin beibehalten und die
Patientin engmaschig zur Kontrolle und zur
professionellen Reinigung einbestellt.
Nach etwa zehn Monaten wurde noch ein-
mal ein Extrusionsimpuls mit zweimaligem
Gummiwechsel gesetzt. Etwa zwei Monate
später zeigte sich radiologisch ausreichend
Knochen bei gleichzeitig taktiler Stabilität
(Lockerungsgrad 0), um den Zahn doch er-
halten zu können. Die Sondierungstiefen
lagen mesial und distal nur noch bei ma-
ximal 5 mm, und die ursprünglich durch-
Bei anschließender Zahnentfernung folgen weitere Schritte:
Behandlungsschritte
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Quelle: Mörig et al.
Vorgehen
Klinische (Abb. 4) und radiologische Kontrolle nach forcierter Ex-
trusion
Noninvasive Zahnentfernung mit möglichst viel erhaltener Wur-
zelhaut (Abb. 5)
Präparation der Wurzelscheibe/n mit Reinigung und Füllung der
Wurzelkanäle (Abb. 6)
Repositionierung der Wurzelscheibe/n minimal suprakrestal (Abb.
7) mit adhäsiver Wiederbefestigung der klinischen Restkrone an
den Nachbarzähnen und Auffüllen des offenen Bereichs mit Kom-
posit zur ästhetischen Maskierung und zum Schutz der Wurzel-
scheibe/n vor Zungen- und Wangendruck
Klinische und radiologische Nachuntersuchung ca. 2 Monate
nach Extraktion
Abbildung 7: Dargestellt ist die in ihre ur-
sprüngliche Position reponierte bukkale Wur-
zelscheibe. Zum Schutz der Scheiben wurde
die frühere klinische Zahnkrone wieder einge-
klebt und der verbleibende Freiraum anschlie-
ßend mit Komposit (Fa. GC ) aufgefüllt, so
dass die Scheiben komplett geschützt waren
(Cave: Zunge). (siehe auch Abbildung 25)
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Zahnmedizin