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107, Nr. 12, 16.6.2017, (1418)
„Behandler“ – Der Begriff gehört ad acta
Dieser Kommentar wurde erstmals im „Deutschen Ärzteblatt“, 2011; 108 (18): A-989 veröffentlicht.
Der Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Ärzteblatts.
Immer noch und immer wieder verwenden Krankenkassen, ge-
setzliche wie private, in ihrer Korrespondenz und in Formularen
das Wort „Behandler“. Sie bezeichnen damit Ärzte, insbesondere
Vertragsärzte in der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Begriff
wurde ursprünglich um 1900 in die deutsche Sozialgesetzgebung
eingeführt zur Bezeichnung gerade nicht ärztlich approbierter
Therapeuten, wie zum Beispiel Heilpraktiker oder auch Kurpfuscher.
Er findet sich dann in der IV. Verordnung zum Reichsbürgergesetz
von 1935 wieder.
Mit der IV. Verordnung vom 25. Juli 1938 wurde den jüdischen
Ärzten zum „Schutz des deutschen Blutes und der deutschen
Ehre“ die ärztliche Approbation zum 30. September 1938 ent-
zogen. Von den damals im Altreich tätigen 3.152 jüdischen Ärzten
durften 709 weiter tätig sein, aber nur mit einer widerruflichen
Genehmigung zur Behandlung eigener Familienangehöriger und
Juden. Diese jüdischen Ärzte ohne Approbation durften sich nicht
mehr Arzt nennen, sondern mussten die Bezeichnung „Kranken-
behandler“ führen.
Nach 1945 wurde der Begriff zunächst benutzt, um Psycho-
logische Psychotherapeuten, dann aber auch Vertreter alternativer
Heilmethoden in Abgrenzung zu Ärzten zu bezeichnen – „ständige
Zunahme der berufsmäßigen Behandler“ („Die Zeit“ vom 1. Sep-
tember 1949), „Laien-Behandler“ („Die Zeit“ vom 14. Juli 1961),
„Psycho-Behandler“, „Seelenbehandler“ („Der Spiegel“ vom 15.
Februar 1982). Der diffamierende Charakter bei der Verwendung
des Begriffs ist offensichtlich. Seit den 1980er Jahren wird der
Begriff „Behandler“ wieder zur Bezeichnung von Ärztinnen und
Ärzten benutzt. Der Begriff steht nicht im Duden und in keinem
Lexikon.
Die scheinbar harmlose Endung „ler“ wird nicht nur bei „Behand-
ler“, sondern auch bei anderen Begriffen in vollem Bewusstsein der
damit verbundenen Herabwürdigung angehängt (zum Beispiel
Protestler, Widerständler, Abweichler). Das kann bei Bastian Sick
nachgelesen werden. Die Bezeichnung „Heilberufler“ ist hoffent-
lich nur Ausdruck einer sprachschöpferischen Naivität, wer weiß?
Und zur Bedeutung von Begriffen in der Geschichte hat sich der
vielleicht wichtigste deutsche Philosoph der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts, Hans Blumenberg, geäußert. Dem „Kranken-
behandler“ widmete er in seiner Serie in der „Frankfurter Allgemei-
nen Zeitung“ ein eigenes Kapitel und wies dort auf die infame
Übertragung von „Manipulieren“ in die deutsche Sprache hin
(„manipulieren“ = „behandeln“). Dem Behandler, also demjenigen,
der manipuliert, sei schon dank dieser Bezeichnung alles
zuzutrauen. Vor ihm sollte 1938 der deutsche Bürger durch die
nationalsozialistische Gesetzgebung geschützt werden. Weder
eine solche Schutzimplikation noch die gezielte sprachliche
Diskriminierung können von denjenigen, die den Begriff heute
benutzen, gemeint oder beabsichtigt sein. Vermutlich ist den
Krankenkassen und Beihilfestellen ihr Sprachgebrauch nicht be-
wusst. Aber trotz bereits erfolgter Hinweise auf Geschichte und
Hintergrund dieser Wortwahl will man auf den Begriff anscheinend
nicht verzichten. Dabei ist es so einfach: einfach von Ärzten
sprechen, wenn Ärzte gemeint sind.
Dr. med. Johannes Vesper,
Facharzt für Innere Medizin, Wuppertal
„Behandler“ – Mit diesem Begriff müssen wir vorsichtig sein
Zur Nachricht: „Register für Kiefer-Gesichts-Prothetik: Wo ist der nächste Behandler?“, zm 4/2017, S. 22.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Vielleicht wissen Sie nicht, dass die-
ser Begriff vor Jahrzehnten in unserer
Sozialversicherung als Bezeichnung
für alle Nicht-Ärzte im damaligen
Gesundheitssystem diente. Darüber
hinaus wurde er von den Nazis miss-
braucht, um jüdische Ärzte zu ver-
unglimpfen, denen qua Gesetz die
Approbation wegen Ihres jüdischen
Glaubens entzogen worden war. Ich habe diese Information aus
einem Artikel des Kollegen Dr. Vesper aus Wuppertal, der bereits
2011 im Dtsch. Ärzteblatt veröffentlicht worden war. [Anmerkung
der Redaktion: Den Artikel, auf den hier
Bezug genommen wird, finden Sie unten
stehend als Nachdruck.]
Ich weiß, dass sich dieser Begriff in
unserem Sprachgebrauch schon tief
verankert hat, plädiere aber trotzdem
bzw. genau deshalb für eine aktuelle
Information der Kollegenschaft, die dann
selbst entscheiden mag, wie sie weiter
damit umgehen möchte.
Jochen Plate, Wuppertal
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