zm
107, Nr. 6, 16.3.2017, (656)
für Medizinrecht und Vorstandssprecher des
Bundesverbandes Internetmedizin. Außer-
dem setze dies an der falschen Ecke an, sagt
Vorberg: „Wir müssen den Arzt motivieren,
sich im Internet mehr als nur spontan blicken
zu lassen. Der Patient sucht dort Rat, und
der ist bisher frei von ärztlicher Qualität.
Das Signal einer Technikpauschale ist da
ein falsches. Dies ist gerade nicht der Schritt
zu einer ausreichend bezahlten Online-
Sprechstunde, sondern eher eine Lästig-
keitsentschädigung. Motivation kann der
Arzt daraus für eine angemessene Online-
Sprechstunde sicher nicht ziehen.“
Deppe ist ebenfalls verärgert. Zwar sei eine
Onlinesprechstunde in seinem Praxisalltag
noch die Ausnahme, doch immerhin komme
es mehrmals monatlich vor. „Die Forderung
nach einer sprechenden Medizin wird von
allen Seiten immer wieder an uns Ärzte
herangetragen. Gleichzeitig ermöglicht es
die Entwicklung der Medizin 2.0, dass
immer mehr und bessere Gesundheitsdaten
telemetrisch übertragen und befundet wer-
den können. Die Entwicklung, dass der Arzt
seinem Patienten hilft und ihn berät, diese
Daten in eine bessere Gesundheit umzuset-
zen, beginnt eben. Dies betrifft bis auf Wei-
teres weniger die Zahnmedizin. Dennoch
benötige ich für eine Video-Sprechstunde
im Schnitt zehn Minuten ungeteilter Auf-
merksamkeit. Da ich in dieser Zeit keine an-
dere Behandlung machen kann, sollte das
Honorar realistischerweise die unterschied-
liche Zeitdauer berücksichtigen und etwa
vier Euro pro Minute betragen. Die vorge-
schlagene Honorierung ist ein Witz. Keiner,
der dies so vergüten will, ist ernsthaft am
medizinischen Fortschritt oder an einer bes-
seren Versorgung von Patienten interessiert,
die die Video-Sprechstunde wollen oder
brauchen.“
Sprechstunde im Netz –
wer hört mit?
Dazu kommen die Kosten für die technische
Ausstattung. Über die Anforderungen für
die Praxis und den Videodienst haben sich
KBV und GKV-Spitzenverband bereits im
November vergangenen Jahres geeinigt.
Ärzte, die die Video-Sprechstunde anbieten
wollen, müssen sich laut Vereinbarung eines
Videodienstanbieters bedienen. Dieser muss
über entsprechende Sicherheitsnachweise
verfügen.
So muss zum einen der Klarname des
Patienten für den Arzt erkennbar sein, zum
anderen die Video-Sprechstunde frei von
Werbung sein. Und der Video-Dienstanbie-
ter muss gewährleisten, dass die Video-
Sprechstunde während der gesamten Über-
tragung nach dem Stand der Technik Ende-
zu-Ende-verschlüsselt ist.
Deppe hat sich intensiv mit dem Thema
Datenschutz für seine Praxis auseinander-
gesetzt. „In meiner Masterthesis als Prothe-
tiker 2013 habe ich mich mit der Schweige-
pflicht in Zeiten des Internets beschäftigt“,
erklärt Deppe. „Daher weiß ich, dass es eine
absolute Sicherheit nie mehr geben wird
und dass es eine breite und verantwortungs-
volle Diskussion über das Arztgeheimnis
heute bräuchte. Soweit ich das überblicken
kann, ist sich Patientus der Sensibilität der
übertragenen Video-Chats bewusst.“
Der Leiter für Unternehmensentwicklung
und operatives Geschäft bei Patientus kann
dies nur bestätigen: „Die gesamte Kommu-
nikation ist nicht einsehbar“, versichert Dr.
Felix Schirmann, „Patientus bietet den Vor-
teil der sicheren Peer-to-peer-Übertragung.
Wir arbeiten getreu dem Motto ‚Speicher so
wenig Daten wie möglich, das ist der beste
Datenschutz!‘“ Und: „Auch vor dem Hinter-
grund der Strafbewehrung der Schweige-
pflicht ist es wichtig, einen solchen Anbieter
zu wählen“, ergänzt Deppe, „deswegen in
aller Vorsicht: Ja, bei der Video-Sprechstunde
fühle ich mich sicher.“
Die Telemedizin gewinnt zunehmend an
Bedeutung. Laut dem Berufsverband der In-
ternetmedizin reagiert die Bundesregierung
jedoch nicht umfassend genug. „Ärzte
sollten die Möglichkeit haben, im Rahmen
einer Video-Sprechstunde Patienten auch
zu behandeln“, fordert der Verband. Dazu
zähle auch die Möglichkeit, online Rezepte
auszustellen. Denn ohne diese Möglichkeit
„verkümmert die Video-Sprechstunde zu ei-
ner reinen Beratungsinstitution, die nicht zur
bedarfsgerechten Versorgung beitragen
kann“.
Der Blick auf die europäischen Nachbarn
zeigt, wie es funktionieren kann: In der
Schweiz werden Telekonsultationen von den
Kostenträgern durch Prämienreduzierung
aktiv gefördert. Das Schweizer Zentrum für
Telemedizin Medgate, einer der europaweit
führenden Telemedizinanbieter, erbringt
monatlich rund 16.000 Telekonsultationen,
die sogar die Verschreibung von Arznei-
mitteln umfassen. Auch in mehreren skan-
dinavischen Ländern wird die Patienten-
versorgung in entlegenen Gebieten durch
telemedizinische Angebote ergänzt – auch
anstelle des persönlichen Arzt-Patienten-
Kontakts.
Dennoch: Obwohl die Bundesregierung teil-
weise noch sehr zögerlich reagiert, boomt
22,3 %
9,4 %
21,3 %
28,4 %
18,7 %
Ja, und ich finde es anregend und
prinzipiell gut. (22,3%)
Ja, und ich sehe es mit Sorge. (21,3%)
Ja, und ich werde es nehmen, wie es
kommt. (28,4%)
Nein, die Digitalisierung wird meine Arbeit nicht wesentlich
beeinflussen. (18,7%)
Ich weiß es nicht. (9,4%)
bnderunJder $rbeit als $r]t
durFK'iJitalisierunJ
72 Prozent der befragten Ärzte erwarten, dass sich ihre ärztliche Arbeit in den nächsten Jahren
durch die fortschreitende Digitalisierung ändern wird. Dies geht aus einer aktuellen Umfrage der
Stiftung Gesundheit hervor, die für ihre Untersuchung „Digitalisierung des Arztberufs“ insgesamt
374 niedergelassene Ärzte, Zahnärzte und Psychologische Psychotherapeuten befragte.
Quelle: Stiftung Gesundheit
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Praxis