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107, Nr. 9, 1.5.2017, (1044)
Urteil
ZE: Individualrabattvertrag ist rechtswidrig!
Eine Krankenkasse ist nicht
berechtigt, mit einem Dentalla-
bor einen Individualrabattvertrag
für dentaltechnische – teilweise
imAusland hergestellte – Leistun-
gen abzuschließen. Dies hat das
Sozialgericht Hannover bereits
2010 festgestellt. Jetzt ist das
Urteil rechtskräftig.
Im vorliegenden Fall geht es um
eine Krankenkasse in Niedersach-
sen, die mit einem in Bremen
ansässigen Dentallabor für Zahn-
ersatz aus ausländischer Produk-
tion für ihre Versicherte – neben
dem mit der zuständigen Zahn-
techniker-Innung abgeschlosse-
nen Kollektivvertrag für dental-
technische Leistungen – einen
Individualvertrag abschloss.
Auf Basis dieses Individualrabatt-
vertrags gewährt das Dentallabor
den Versicherten der Krankenkas-
se einen Rabatt von mindestens
20 Prozent auf die mit der Zahn-
techniker-Innung abgeschlosse-
nen Vereinbarungen über Zahn-
ersatz. Für im Ausland hergestell-
ten Zahnersatz, dessen Preise
durchschnittlich 40 bis 60 Pro-
zent unterhalb der in Niedersach-
sen geltenden Netto-Höchstprei-
se liegen, wurden weitere 5 Pro-
zent Nachlass vereinbart. Die
Krankenkasse informierte über
die bestehenden Rabattmöglich-
keiten mithilfe von Werbemaß-
nahmen, wie beispielsweise
durch Werbebroschüren, einer
Pressemitteilung und einen
Bericht in einer Zeitschrift, in de-
nen die Namen der Dentallabore
und die Höhe der verschiedenen
Rabatte genannt wurden.
Bereits 2010 hatten die Zahn-
techniker-Innung Niedersach-
sen-Bremen (ZINB) und ein Den-
tallabor gegen diese Kooperati-
onsvereinbarung Klage erhoben
– mit der Begründung, dass die
Krankenkasse nicht befugt gewe-
sen war, die Vereinbarung mit
dem kooperierenden Dentalla-
bor einzugehen.
In erster Instanz hatte das Sozial-
gericht Hannover mit dem Urteil
vom 23. Oktober 2010 der Klage
stattgegeben. Der Rechtsanwalt
Peter Brennecke, von der Kanzlei
Weder & Partner, der sämtliche
Kläger anwaltlich vertreten hatte,
erläutert dazu: „Das Gericht führ-
te in der Begründung aus, dass
dem Abschluss eines öffentlich-
rechtlichen Vertrags nach § 53
Abs.1 S.1 SGB X die Rechtsvor-
schriften der §§ 57 Abs. 2, 88
Abs. 2 SGB V entgegenstehen. Es
handelt sich nach den Feststel-
lungen des Gerichts bei den
gesetzlichen Regelungen zu den
Kollektivverträgen nach §§ 57
Abs.2 und 88 Abs.2 SGB V um ab-
schließende Regelungen, die
daneben Einzelverträge der Kran-
kenkassen mit Leistungserbrin-
gern ausschließen.“
Das kooperierende Dentallabor
hat gegen das Urteil Berufung
zum Landessozialgericht erho-
ben. Das Landessozialgericht Nie-
dersachsen-Bremen bestätigte
jedoch in der Sache mit Urteil
vom 25.11.2014 die Entschei-
dung des Sozialgerichts Hanno-
ver und wies die Berufung zurück.
Gegen diese Entscheidung des
Landessozialgerichts legte das
Dentallabor wiederum Revision
zum Bundessozialgericht ein.
Das Bundessozialgericht verwies
die Sache aus formellen Gründen
(fehlerhafte Gerichtsbesetzung)
zurück an das Landessozialge-
richt Niedersachsen-Bremen.
Inzwischen hat das Dentallabor
die Berufung gegen das sozialge-
richtliche Urteil zurückgenom-
men, das damit im Dezember
2016 rechtskräftig wurde.
„Es verbleibt daher nach der Ent-
scheidung des Sozialgerichts
dabei, dass Krankenkassen ledig-
lich befugt sind, im Rahmen von
Kollektivverträgen Preisvereinba-
rungen mit Erbringern zahntech-
nischer Leistungen zu schlie-
ßen“, erläutert Brennecke: „Für
den Abschluss von Selektivverträ-
gen mangelt es an einer gesetzli-
chen Grundlage.“
nh
SG Hannover
Az.: S 10 755/08
Urteil vom 23.10.2010
LSG Niedersachsen-Bremen
Az.: L 4 KR 244/10
Urteil vom 25. 11.2014
Der 4. Senat des Landessozialge-
richts Niedersachsen-Bremen
hat die Entscheidung des Sozial-
gerichts Hannover bestätigt und
festgestellt, dass die beklagte
Krankenkasse nicht berechtigt
ist, mit dem kooperierenden
Dentallabor einen Rabattvertrag
abzuschließen, da es keine aus-
drückliche gesetzliche Ermächti-
gungsgrundlage gibt.
Auch wenn Krankenkassen das
Wirtschaftlichkeitsgebot nach
den §§ 2 Abs. 4 und 12 Abs. 1
SGB V als zentral zugewiesene
gesetzliche Aufgabe beachten
und wahrnehmen müssen, so
sind sie doch zugleich verpflich-
tet, ausschließlich in dem ihnen
gesetzlich zugewiesenen Aufga-
benbereich zu handeln und die-
sen nicht auszuweiten.
§ 88 Abs. 2 SGB V regelt lediglich
eine Informationspflicht der
Krankenkasse, ihre Versicherten
und die Zahnärzte zuvor über
bestehende preisgünstige Versor-
gungsmöglichkeiten zu informie-
ren. Aus dieser Vorschrift ergibt
sich dagegen keine Möglichkeit,
Rabattverträge mit einzelnen
Dentallaboren abzuschließen.
Im Gesetzbebungsverfahren für
diese Vorschrift wurde zwar auch
die konkrete Möglichkeit zum
Abschluss von Individualrabatt-
vereinbarungen diskutiert. Der
Gesetzgeber hat jedoch eine
Abwägung vorgenommen, sich
bewusst gegen diese Möglich-
keit ausgesprochen und damit
eine klare Rechtslage geschaf-
fen.
Da im SGB V für eine Vielzahl von
Leistungsbereichen Einzelverträ-
ge möglich sind, z.B. für Heilmit-
tel (§ 125 Abs. 2 SGB V), für Hilfs-
mittel (§ 127 Abs. 1 SGB V), im
Bereich der häuslichen Kranken-
pflege (§ 132a Abs. 2 SGB V) und
für Arzneimittel (§ 130a Abs. 8
SGB V), dürfen – so der Senat –
in den Bereichen, in denen Ein-
zelverträge nicht ausdrücklich
vorgesehen sind, diese nicht ab-
geschlossen werden, wenn sie
Rechte Dritter betreffen.
Durch den Abschluss der Indivi-
dualrabattvereinbarung zwi-
schen der beklagten Kranken-
kasse und dem beigeladenen
Dentallabor sind die Kläger in ih-
rer Wettbewerbsfreiheit verletzt.
LSG Niedersachsen-Bremen;
Az.: L 4 KR 244/10;
Urteil vom 25.11.2014
„Krankenkasse hat keine Ermächtigungsgrundlage“
Argumentation des LSG Niedersachsen-Bremen
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