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106, Nr. 24 A, 16.12.2016, (1519)
B
mit sich. Seit einigen Jahren ist ein steigen-
der Frauenanteil in der Zahnärzteschaft zu
beobachten – die Anzahl der behandelnden
Zahnärztinnen wird in Kürze voraussichtlich
die der männlichen Kollegen übersteigen
[Brecht et al., 2009]. Dadurch erhalten weib-
lich geprägte Formen des Berufsbilds und
der beruflichen Planung ein immer größeres
Gewicht.
Trends in Demografie und Epidemiologie:
Der demografische Wandel einerseits und die
Erfolge von zahnmedizinischer Prävention
andererseits bringen veränderte Versor-
gungsbedarfe für alle Altersschichten in
Deutschland mit sich. Die Bevölkerung wird
älter und da sie dabei länger ihre eigenen
Zähne erhält, ändern sich die Anforderun-
gen, aber auch die Möglichkeiten der Ver-
sorgung. Gleichzeitig stellt die hohe Anzahl
Pflegebedürftiger die Zahnmedizin vor neue
Herausforderungen. Am anderen Ende der
Bevölkerungspyramide weisen Kinder zwar
allgemein immer gesündere Zähne auf,
doch vor allem niedrige Bildungsschichten
sind einem erhöhten Kariesrisiko ausgesetzt
und bei den Allerjüngsten kommt es sogar
zu einer Stagnation des Kariesrückgangs
[Jordan et al., 2016; Treuner und Splieth,
2013]. Der Berufsstand steht damit vor der
Aufgabe, diese Probleme gezielt anzugehen
und zugleich die offensichtlich wirksamen
Präventionsmaßnahmen weiter erfolgreich
zu betreiben.
Wissenschaftliche Entwicklungen:
Neben
dieser Entwicklung – die praktisches Han-
deln erfordert – erhält gleichzeitig die Wis-
senschaft in der Berufsausübung ein immer
höheres Gewicht. Die evidenzbasierte Zahn-
medizin (EbD) und damit auch Leitlinien
gewinnen im zahnärztlichen Handeln an
Bedeutung und sind zunehmend zu einer
gesundheitspolitischen Forderung geworden.
Etwa 50 Prozent der Zahnärzte sind mit
EbD vertraut, davon halten fast 80 Prozent
das Konzept für sinnvoll [Chenot et al.,
2015]. Kritisch wird gesehen, dass klinische
Erfahrungen im Praxisalltag abgewertet
werden und die sogenannte „Expertenauto-
rität“ an Bedeutung verliert [Vogd, 2002].
Sozialgesellschaftliche Entwicklungen:
Nicht
nur der Verlust der Expertenautorität, son-
dern auch eine veränderte Arzt-Patienten-
Beziehung kann zu einem anderen Rollen-
verständnis des Zahnarztes führen. Jenseits
des paternalistischen Modells sollen Ent-
scheidungen im Sinne des „Informed Deci-
sion Making“ vom – durch den Zahnarzt
aufgeklärten – Patienten selbst im Dialog
mit dem Zahnarzt getroffen werden
[Scheibler, 2004]. 79 Prozent der Zahnärzte
halten den informierten Patienten für wich-
tig, jüngere Zahnärzte signifikant häufiger
als ältere [Micheelis et al., 2010]. Diese
gesamtgesellschaftliche Forderung nach
einer Aufwertung der Patientenmeinung im
klassischen Arzt-Patienten-Verhältnis findet
sich im Gesetz zur Verbesserung der Rechte
von Patientinnen und Patienten (§§ 630a-h
BGB) verankert.
Neue Technologien und ökonomische Ent-
wicklungen:
Medizinisch-technische Inno-
vationen in der Zahnmedizin ermöglichen
einerseits verbesserte und neue Wege in
Diagnose und Therapie: Neue Märkte wer-
den erschlossen, wie es zurzeit beispielsweise
in der computergestützten Behandlung zu
beobachten ist. Andererseits geht mit dem
Fortschritt auch das Risiko einer Vergewerb-
lichung einher. Neben diesen Entwicklungen
führt die Ökonomisierung im Gesundheits-
wesen dazu, dass infolge des Wirtschaftlich-
keitsgebots und aufgrund von Budgetierun-
gen zahnärztliche Therapieentscheidungen
zunehmend nicht nur zahnmedizinisch,
sondern auch wirtschaftlich abgewogen
werden müssen [Micheelis et al., 2010;
Borgetto und Kälble, 2007].
... oder kommt die
Deprofessionalisierung?
Die dargestellten Entwicklungen rufen
eine Diskussion um einen grundlegenden
Strukturwandel der zahnärztlichen Berufs-
ausübung hervor. Aus ihrer Entwicklungs-
geschichte heraus gehört die Zahnmedizin
zu den Professionen [Oesterreich, 2009;
Oesterreich, 2014]. Zentrale Merkmale einer
Profession sind Ansehen, die Ausrichtung
auf das Gemeinwohl und Autonomie, auf-
grund derer der Zahnarzt als „freier Beruf“
bezeichnet wird [Raven, 1989; Dewe, 2006;
Pundt, 2006]. Inwiefern vor allem bei dem
zunehmenden Trend zur Anstellung und
dem Wunsch nach veränderten Arbeits-
modellen die Freiberuflichkeit Bestand ha-
ben kann, ist fraglich. Auch der befürchtete
Autonomieverlust durch Leitlinien und die
Patientenemanzipation wird im Hinblick auf
die Freiberuflichkeit mit Sorge betrachtet
[Sackett et al., 1996]. Dennoch scheint
durch die kontinuierliche berufliche Soziali-
sation das Selbstverständnis des Berufs-
stands recht stabil zu sein. Noch sind die
zentralen Merkmale der Profession weitest-
gehend erfüllt – ob es dauerhaft zu einer
Deprofessionalisierung kommt, bleibt abzu-
warten [Kettler, 2016].
Im Bezug auf veränderte Behandlungs-
bedarfe hat der Berufsstand in den für
2020 angestrebten Mundgesundheitszielen
bereits früh Entwicklungen aufgegriffen und
die Leitschnur für ein ziel- und bedarfs-
gerichtetes zahnärztliches Handeln gelegt.
Auch Risikogruppen werden darin beson-
ders berücksichtigt [Ziller et al., 2012].
Zahnärzte müssen nun gezielter Behand-
lungskonzepte für die eigene Praxis finden,
was durch eine vermehrte Schwerpunkt-
setzung teilweise offenkundig bereits ge-
schieht [Micheelis et al., 2010].
Die Planung der zahnärztlichen Versorgung
setzt voraus, die beschriebenen Verände-
rungen zu beobachten, um auf ihrer Basis
zukunftsgerichtete Entscheidungen treffen zu
können. Einige dieser Entwicklungen entziehen
sich dem direkten Einfluss des Berufsstands.
Andere wiederum entstehen durch Entwick-
lungen im Berufsstand. Dabei stellen sich
die Fragen, wie sich die Eigenwahrnehmung
der Zahnärzte entwickelt [Oesterreich,
2009; Oesterreich, 2014], welche Karriere-
pfade eingeschlagen und wie die Arbeits-
bedingungen wahrgenommen werden. Erste
Antworten liefert eine Studie des IDZ, die
auf den folgenden Seiten vorgestellt wird
(„Was junge Zahnärzte heute wollen“).
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werden.