Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

ZAHNÄRZTLICHE MITTEILUNGEN I WWW.ZM-ONLINE.DE AUSGABE 22 I 2022 zm16.11.2022, Nr. 22 Rückschlag für das E-Rezept Die KZBV plädiert für einen vorläufigen Stopp des Rollouts, bis die gematik „ihre Hausaufgaben“ gemacht hat. SEITE 10 BZÄK-Bundesversammlung Diskutiert wurden die Folgen des GKV-FinStG, der Fachkräftemangel und das politische Gewicht der Zahnärzte. SEITE 16 Klinisch-ethische Falldiskussion Vater-Sohn-Konflikt: Bleiben wir beim präventionsorientierten Konzept oder setzen wir auch auf kosmetische Maßnahmen? SEITE 52 GESICHTSSCHMERZEN Sind’s wirklich die Zähne?

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Eine neue Eiszeit? gehen. So konnte es immer mehr gelingen, als Stimme der gesundheitspolitischen Vernunft wahrgenommen zu werden. Aber was tun, wenn die sachlichen und fundierten Argumente zwar vielleicht noch gehört werden, aber nicht mehr darauf reagiert wird – wenn also der kritischkonstruktive Dialog nicht mehr stattfindet, sondern von oben herab durchregiert wird? Welche Zeichen kann die Zahnärzteschaft setzen, dass sie nicht alles mit sich machen lässt, ohne aber den Weg der Sachlichkeit im Sinne einer guten und bedarfsgerechten Versorgung zu verlassen? Vor der Lösung dieser schwierigen Aufgabe stehen die Standesvertretungen in der nächsten Zeit. Denn dass die Regierung den Kurs der Missachtung verlassen wird, ist nicht abzusehen. Fakt ist, dass die Zahnärzteschaft eine im Vergleich zu anderen Gesundheitsberufen relativ kleine Gruppe ist. Umso wichtiger wird es sein, dass sie geschlossen und mit einer Stimme auftritt. Fatal sind daher Gedankenspiele einer Landeszahnärztekammer, die Bundeszahnärztekammer zu verlassen. Eine möglichst starke Vertretung auf Bundesebene muss vielmehr das Ziel bleiben. Andernfalls hat die Politik leichtes Spiel. Sascha Rudat Chefredakteur Anfang November war es in Berlin noch möglich, im Hemd draußen Kaffee zu trinken. Der Oktober war wohl der wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Im deutlichen Gegensatz zu diesen milden Temperaturen steht derzeit das Klima auf gesundheitspolitischer Ebene zwischen der Zahnärzteschaft und der Ärzteschaft auf der einen und dem Bundesgesundheitsministerium auf der anderen Seite. Man kann eigentlich zuschauen, wie in diesen Tagen die Temperaturen in den Keller gehen. Nun gab es in diesem Verhältnis im Lauf der Jahre immer wieder Eiszeiten. Die vergangenen Jahre waren hingegen fast mild, um in der Wetter-Analogie zu bleiben. Natürlich war die Zusammenarbeit mit den UnionsGesundheitsministern Gröhe und Spahn auch kein Liebesverhältnis. Aber es fand zumindest ein kritischer Dialog unter einem Mindestmaß an gegenseitigem Respekt statt. Im Sinne der Patientinnen und Patienten waren dadurch erkennbare Fortschritte möglich. Ganz anders unter der aktuellen Bundesregierung und ihrem Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Darüber, dass das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz trotz unwidersprochener sachlicher Gegenargumente durchgeboxt wurde, haben wir schon hinlänglich berichtet. Aber wie groß die Distanz zwischen Regierung und den Leistungsträgern im Gesundheitswesen inzwischen ist, lässt sich aus dem einfachen Umstand ablesen, dass es das BMG nicht geschafft hat, zur diesjährigen Bundesversammlung der Bundeszahnärztekammer in München ein Grußwort per Video zu schicken – von persönlichem Erscheinen ganz zu schweigen. Kein Minister, keine Staatssekretäre. Angefragt worden war im April. Und dass Lauterbach unter Kamerascheu leidet, lässt sich wohl kaum behaupten. Besser lässt sich mangelnder Respekt vor und fehlendes Interesse an den Menschen, die vor allem in der Niederlassung die Gesundheitsversorgung in diesem Land aufrechterhalten, nicht zeigen. Stattdessen richtete sich der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek mit einem Video-Grußwort an die Bundesversammlung. Die Delegierten der Bundesversammlung rangen offensichtlich damit, wie sie mit dieser Situation umgehen sollen. Ähnlich wird es bei der Vertreterversammlung der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) sein, die Ende November ebenfalls in München stattfindet. Die Zahnärzteschaft ist in den vergangenen Jahren gut damit gefahren, einen sachorientierten und faktenbezogenen Kurs einzuschlagen, statt Maximalforderungen aufzustellen und in Frontalopposition zu Foto: Lopata/axentis EDITORIAL | 03

zm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2138) Inhalt MEINUNG 3 Editorial 6 Leitartikel 8 Leserforum POLITIK 10 Ärzte und Zahnärzte für vorläufigen Stopp beim Rollout Rückschlag für das E-Rezept 16 BZÄK-Bundesversammlung in München „Unsere DNA ist die Freiberuflichkeit“ 20 Resonanz auf das GKVFinanzstabilisierungsgesetz „Eine Loose-loose-Situation!“ 36 63. Bayerischer Zahnärztetag Harsche Kritik am GKV-FinStG aus Bayern 74 Unabhängige Patientenberatung Deutschland Wie unabhängig ist die neue UPD? ZAHNMEDIZIN 22 Interview mit Dr. Steffani Görl „Von Botox-Injektionen in den M. masseter in den Räumen einer Parfümerie rate ich ab“ 24 Grundlagen, Anwendung, rechtlicher Rahmen Botulinumtoxin in der Bruximustherapie TITELSTORY 40 Klassifizierung und Therapie Gesichtsschmerzsyndrome im zahnärztlichen Alltag 56 Der besondere Fall mit CME Frakturversorgung der Orbita mit patientenspezifischem Implantat (PSI) 64 Interview zum Weltdiabetestag „Zahnärzte und Diabetologen müssen besser kooperieren dürfen!“ 68 Geisterzelltumor im Kindesalter Zuerst war es nur eine moderate Schwellung 66 Wunderkammern der Zahnmedizin In den Räumen der BZÄK in Berlin sind die Werke von Jimmie Durham versteckt. 12 Ein Roboter als ZFA-Ersatz? Der Kieferorthopäde Dr. Christian Leithold arbeitet seit zwei Jahren in der Schweiz mit einem humanoiden Roboter als Assistenz. Foto: Dr. Leithold Foto: Aleksej – stock.adobe.com Titelfoto: Aleksej – stock.adobe.com 04 | INHALTSVERZEICHNIS

76 Interview mit Prof. Dr. Carolina Ganß „Erhalte Deinen Zahn und Deine Papille!“ PRAXIS 12 KI in der Praxis Ein Roboter als ZFA-Ersatz? 48 Mitarbeiterführung Streit wegen der Neuen im Team 52 Klinisch-ethische Falldiskussion Vater-Sohn-Konflikt in der Praxis 80 Umfrage der American Dental Association Zugedröhnt zum Zahnarzt 81 Energiesparen in der Praxis Welche Raumtemperatur ist jetzt richtig? GESELLSCHAFT 32 35 Jahre Hilfswerk Deutscher Zahnärzte Den Armen helfen, wo immer es geht! 66 Zum Tod von Jimmie Durham Die kleinen Wunderkammern der Zahnmedizin 78 Exponate aus der Sammlung Proskauer/Witt Die Rosodont-Zahnseife STARTER 82 apoBank-Studie „Niederlassen oder lieber lassen?“ Die Investitionskosten sind nicht das Problem! 85 Niederlassung für Fortgeschrittene Blind Founding – Praxisgründung mit einem Fremden MARKT 89 Neuheiten RUBRIKEN 38,50,75,81 Nachrichten 46,51 Urteile 60 Termine 62 Formular 88 Impressum 110 Zu guter Letzt Foto: Praxis Hinderer und Heinrich 85 Blind Founding Kann man mit einem Fremden zusammen eine Praxis gründen? Dr. Kirsten Hinderer und Dr. Philipp Heinrich haben es gewagt. TITELSTORY 40 Gesichtsschmerzen Wer mit der Klassifizierung der nichtdentalen Gesichtsschmerzsyndrome nicht vertraut ist, riskiert eine falsche Therapie. zm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2139) INHALTSVERZEICHNIS | 05

Wir stehen kurz vor der ersten Vertreterversammlung der KZBV nach der Verabschiedung der GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes (GKV-FinStG) durch den Bundestag. Unsere Enttäuschung und unser Entsetzen über dieses Gesetz ist groß. Neben der Wiedereinführung einer schon in 2011 gesetzlich abgeschafften strikten Budgetierung mit starren Obergrenzen und zudem einer Begrenzung der Anpassungsmöglichkeiten für die Punktwerte, infolge derer uns die Folgen der massiven Inflation und Energiekrise noch schwerer treffen werden, werden mit der Budgetierung für 2023 und 2024 der Versorgung die erst kürzlich zugesagten Mittel für die neue, präventionsorientierte Parodontitis-Therapie wieder entzogen. Die Erbringung der Parodontitisleistungen für die rund 30 Millionen Patientinnen und Patienten, die an der Volkskrankheit Parodontitis leiden, wird damit erheblich erschwert, und die Versicherten werden faktisch ihres Leistungsanspruches beraubt, der erst im Vorjahr in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen und von allen Beteiligten als ein Meilenstein für die Mund- und Allgemeingesundheit begrüßt wurde. Die auch nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens vom Bundesgesundheitsminister erneut wiederholte Behauptung, es komme nicht zu Leistungskürzungen, kann nur als zynisch bezeichnet werden, wenn gleichzeitig die Mittel für diese Leistungen nicht (mehr) bereitgestellt werden. Bis zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens haben wir in zahlreichen Gesprächen mit guten Argumenten und belastbaren Fakten auf allen Ebenen darauf hingearbeitet, dass die Parodontitisbehandlung, so, wie es auch der Bundesrat einstimmig gefordert hatte, von der Budgetierung freigestellt wird. Diese Forderung ist vom Bundesgesundheitsminister und den Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ignoriert worden, lediglich die Finanzmittel für die Parodontitisbehandlung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung wurden budgetfrei gestellt. Diese für die vulnerablen Gruppen wichtige Änderung war freilich nur marginal und entspricht eher einem politischen Feigenblatt. Zwingend notwendig wäre eine Änderung gewesen, die den Zugang zu dieser präventionsorientierten Versorgung für alle GKVVersicherten weiterhin offenhält. Im Zielkonflikt von Sparmaßnahmen und präventionsorientierter Parodontitisversorgung unserer Patientinnen und Patienten hat am Ende eine kurzsichtige, längst überholt geglaubte Kostendämpfungspolitik die Oberhand bekommen. Die KZBV-Vertreterversammlung, die am 23. und 24. November in München stattfindet, wird sich zum einen intensiv mit der Frage beschäftigen, wie die Vertragszahnärzteschaft mit der Wiedereinführung der strikten Budgetierung umgehen wird, die allen konstruktiven Bemühungen der Zahnärzteschaft in den letzten Jahren zuwider geradezu einer offenen Kampfansage des Gesundheitsministers und der Bundesregierung gleichkommt. Zum anderen werden Antworten auf die Fragen erarbeitet werden müssen, wie den mit diesem fatalen Gesetz verursachten Kollateralschäden vor allem im Bereich der Parodontitisbehandlung begegnet werden kann? Die Vertreterversammlung ist die letzte in der Amtsperiode des amtierenden Vorstandes der KZBV. Zwar waren diese sechs Jahre geprägt von Pandemie, Ukrainekrieg und Flüchtlingskrise. Doch konnten die meistenteils sehr schwierigen und oftmals auch kontroversen Verhandlungen mit den Krankenkassen und der Politik bei allen Differenzen überwiegend konstruktiv geführt und in den meisten Fällen für die Patientinnen und Patienten auf der einen und für die vertragszahnärztlichen Kolleginnen und Kollegen auf der anderen Seite zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht werden. Selbst in der für uns sehr schwierigen Corona-Pandemie ist es gelungen, letztendlich doch noch mit dem GKV-Spitzenverband eine bundesmantelvertragliche Vereinbarung im Sinne eines „Pandemiezuschlags“ über 275 Millionen Euro abzuschließen, nachdem die Politik der Zahnärzteschaft einen Schutzschirm verweigert hatte. Unser Blick war stets nach vorn auf die Erreichung unserer mittel- und langfristigen Ziele gerichtet, die wir in der Agenda Mundgesundheit 2021–2025 klar und deutlich formuliert haben. Eine stetige Verbesserung der Mund- und Allgemeingesundheit nicht zuletzt durch einen nachhaltigen Ausbau der Prävention steht dabei ganz oben. Der im Jahr 2021 im umfassenden Konsens mit den Kostenträgern, dem G-BA und dem BMG umgesetzten Richtlinie zur systematischen Behandlung von Parodontitis und anderer Parodontalerkrankungen (PAR-Richtlinie) kommt hier eine Foto: KZBV/Knoff Zeitenwende 06 | LEITARTIKEL zm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2140)

ganz besonders wichtige Bedeutung als Leuchtturmprojekt für eine präventionsorientierte Gesundheitsversorgung zu. Dass der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mit dem GKV-FinStG in vollem Wissen über die damit verbundenen Folgen, uns Zahnärztinnen und Zahnärzten die wirtschaftlichen Mittel zur Bekämpfung dieser großen Volkskrankheit wieder entzieht, ist eine kurzsichtige gesundheitspolitische Freveltat, die durch Nichts schön zu reden oder zu entschuldigen ist. Da nicht abzusehen ist, dass die GKV von den versicherungsfremden Leistungen entlastet wird, die das aktuelle Defizit maßgeblich verursachen, steht zu erwarten, dass das GKV-FinStG erst der Anfang von weiteren plumpen Kostendämpfungsmaßnahmen ist, die in den nächsten Jahren folgen werden. Darauf müssen wir uns vorbereiten und einstellen. KZBV und KZVen, ebenso wie alle Vertragszahnärztinnen und -zahnärzte müssen sich überlegen, wie sie dem begegnen wollen. Klar ist für mich, dass es nach all den fatalen Benachteiligungen der Vertragszahnärzteschaft der letzten Jahre nun eine eindeutige und einhellige Antwort gegenüber der Politik geben muss, ein „Weiter so“ wird es auf dieser Basis nicht geben können. Liebe Kolleginnen und Kollegen. Lassen wir uns nicht auseinanderdividieren. Lassen Sie uns gemeinsam und mit einer Stimme gegen fehlende Wertschätzung und Anerkennung, gegen Benachteiligung und Ungerechtigkeit zur Wehr setzen. Dazu braucht es eine engagierte Kollegenschaft, die hinter ihrer Standesführung steht! Die Zeiten werden rauer, vielleicht sogar stürmisch werden. Am Ende werden wir uns Gehör verschaffen, denn eine Gesundheitspolitik, die sich dauerhaft und vorsätzlich gegen die Interessen der Versicherten und gegen die berechtigten Belange derjenigen stellt, die das Gesundheitswesen tragen, darf und wird keinen Bestand haben. Dr. Wolfgang Eßer Vorsitzender des Vorstandes der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung zm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2141) LEITARTIKEL | 07 ZAHNERSATZ MIT QUALITÄTSVERSPRECHEN Sicherheit wird hier zum Wohlgefühl! QSDental geprüft AusVerantwortungfür Qualität &Sicherheit ® Wie Sie wissen, gibt es nichts Schöneres als glückliche Patienten. Für diese Aufgabe stehen Ihnen dieQS-Dental geprüften zahntechnischen Meisterlabore als fachlich versierte und lokale Partner für Ihre Praxis immer kompetent zur Seite. Gerade in diesen Zeiten schenken Sie sich und Ihren Patienten noch mehr Sicherheit und Qualität! Geprüfte Meisterlabore arbeiten mit einem speziell auf die Branche abgestimmtenQualitätssicherungskonzept, das die Qualität steigert und mehr Sicherheit bietet. Sie können sich hier stets bester Ergebnisse sicher sein – zumWohle aller Ihrer Patienten. Noch ohne QS-Labor? Gehen Sie auf Nummer sicher. Sie wollen ein QS -Labor in Ihrer Nähe kennenlernen? Prima. Dann informieren Sie sich unter: WWW.QS-DENTAL.DE Besuchen Sie uns auf der IDS! Köln• 14. bis 18. März 2023

NACHHALTIGKEIT VIELES KOMMT WIEDER Zum Beitrag „Nachhaltigkeit in der Zahnarztpraxis: So wird Ihre Praxis nachhaltig“, zm 19/22, S. 16–22 Beim Lesen des Artikels „So wird Ihre Praxis nachhaltig“ fand ich viele schöne Anregungen. Wirklich lachen musste ich über den gelben Kasten zum Thema Kaffee-Ersatz. Ich bin in der DDR geboren und wir hatten so etwas schon mal: Man nannte es Muckefuck. Vielleicht erlebt das Gebräu einen neuen Aufschwung. Viele alte Dinge erleben jetzt offensichtlich eine Renaissance (zum Beispiel das MVZ – wir nannten es Poliklinik). Anja Horn, Bad Berka VERSORGUNGSALLTAG IM KRISENMODUS Zur zahnärztlichen Versorgung in der aktuellen Situation Klimakrise, Personalmangel, Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg sowie dessen Folgen haben uns alle fest im Griff. Wir alle und natürlich auch unsere Teams nehmen jede Menge Zusatzstress in Kauf, um trotz allem die zahnärztliche Versorgung zu gewährleisten. Kürzlich nahm ich an einer Fortbildungsveranstaltung einer Zahnärztekammer teil, deren Inhalt sich (gefühlt!) zu 1/3 aus Gesundheitsminister-Bashing und Selbstbeweihräucherung, zu 1/3 aus noch mehr Vorschriften, Auflagen und Bürokratie und nur zu 1/3 aus hilfreichen Inhalten zusammensetzte. Verstehen Sie mich nicht falsch, mir ist durchaus bewusst, dass unsere Standespolitik auch wichtige Ziele für uns erreicht. Nichtsdestotrotz hat sich die Realität am Behandlungsstuhl extrem verändert. In der Fortbildung wird all das weggelächelt, offenbar haben die Herrschaften alle genug ZFA, keine Notdienste zu stemmen und vielleicht sind sie auch von all den anderen Krisen im Gegensatz zu uns anderen überhaupt nicht tangiert. Doch unsere Praxistage sind geprägt von Krankenstand, Behandlungen ohne Assistenz, Selbst-Desinfektion sowie Vor-, Nach- und teilweise auch Aufbereitung durchführend nebst Dokumentation. All das ist natürlich nicht besonders wirtschaftlich, jedoch haben wir es so bisher geschafft, die Versorgung unserer Patienten – wenn auch mit teils längeren Wartezeiten – mit der gebotenen Sorgfalt auf allen Ebenen aufrechtzuerhalten. Als wir beide Behandlerinnen nebst unserer Auszubildenden uns kürzlich gleichzeitig auf der Arbeit mit dem Coronavirus infizierten und die Praxis eine Woche schließen mussten, gab es noch einen Rüffel, weil es keine Vertretung gab. Ich verweise noch einmal auf die veränderte Realität, die auch für alle anderen Praxen hier im Umkreis gilt. Nicht, dass wir uns „gründlich“ auskuriert hätten ... Wir haben uns, als wir negativ waren und es „einigermaßen“ wieder ging, an die Arbeit gemacht. Mich würde sehr interessieren, wie andere Kolleg:innen ihren Behandlungsalltag im Krisenmodus gestalten. Dieser Leserbrief soll bitte nicht zum Anlass genommen werden, unsere Standespolitik zu bashen – vielmehr erhoffe ich mir einen ehrlichen Erfahrungsaustausch, der bestenfalls dem im Krisenmodus erforderlichen Zusammenhalt zugute kommt. Meike Schröder, Kleve Leserforum Foto: stock.adobel.com Die zm-Redaktion ist frei in der Annahme von Leserbriefen und behält sich sinnwahrende Kürzungen vor. Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe in der digitalen Ausgabe der zm und bei www.zm-online.de zu veröffentlichen. Bitte geben Sie immer Ihren vollen Namen und Ihre Adresse an und senden Ihren Brief per Mail an: leserbriefe@zm-online.de oder per Post an: Redaktion Zahnärztliche Mitteilungen, Chausseestr. 13, 10115 Berlin. Anonyme Leserbriefe werden nicht veröffentlicht. zm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2142)

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zm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2144) ÄRZTE UND ZAHNÄRZTE FÜR VORLÄUFIGEN STOPP BEIM ROLLOUT Rückschlag für das E-Rezept Der Zugang zum E-Rezept sollte für Patienten vor allem niedrigschwellig sein. Doch anders als bisher geplant ist die elektronische Gesundheitskarte (eGK) als Einlöseweg für elektronische Rezepte vom Tisch. Neben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) plädiert daher auch die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) für einen vorläufigen Stopp des weiteren Rollouts – bis die Rahmenbedingungen für eine Fortführung durch die gematik und das Bundesgesundheitsministerium (BMG) geschaffen sind. Wir brauchen jetzt ein belastbares und funktionierendes Umsetzungskonzept – gematik und BMG müssen hier liefern!“, fordert der stellvertretende KZBV-Vorsitzende Dr. Karl-Georg Pochhammer. „Praxen, die das E-Rezept bereits nutzen, können und sollen das weiterhin tun. Der Rollout muss jedoch grundsätzlich neu justiert werden.“ In den beiden Pilotregionen Westfalen-Lippe und Schleswig-Holstein unterstützen nun die jeweiligen KVen den Rollout des E-Rezepts nicht mehr aktiv. Auch die KZV Westfalen-Lippe (KZVWL) hatte mitgeteilt, den Rollout bis auf Weiteres nicht mehr zu fördern. Die E-Rezept-App der gematik, bisher die einzige digitale Möglichkeit zur Einlösung, sei kaum verbreitet. „In unseren Praxen ist fast ausschließlich der Tokenausdruck auf Papier die Realität“, sagt Michael Evelt, Vize-Vorsitzender der KZVWL. Diese App sei aber laut KZBV für die meisten Patienten nicht nutzbar, da sie entweder die dafür notwendige eGK der neuesten Generation oder die dazugehörige PIN noch nicht hätten. Nach dem Verbot des VideoIdent-Verfahrens im Sommer gebe es momentan nur die Möglichkeit einer Vor-Ort-Identifizierung – in der Filiale der zuständigen Kasse oder mittels PostIdent. Als Alternative war daher vorgesehen, das E-Rezept durch Vorlage der eGK in der Apotheke einzulösen: Ärzte und Zahnärzte stellen dabei das E-Rezept aus, müssen aber kein Papier bedrucken, das Patienten ausgehändigt wird, die die E-Rezept-App nicht nutzen. Die Patienten lassen dann in der Apotheke ihre eGK einlesen. Jene wird so berechtigt, die vorliegenden E-Rezepte vom Fachdienst abzuholen und die verordneten Medikamente abzugeben. Allerdings hat diese von der gematik spezifizierte Umsetzung eine sicherheitstechnische Schwäche, da nicht ausreichend verhindert wird, dass Apotheken Rezepte einsehen und herunterladen können, zu denen keine eGK vorliegt. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und der Bundesdatenschutzbeauftragte Prof. Ulrich Kelber hatten deshalb ihre Zustimmung verweigert. Die KZBV habe bereits beim Beschluss dieser Lösung auf die Problematik hingewiesen und eine datenschutz- und sicherheitskonforme Umsetzung gefordert, sagt Pochhammer. „Bedauerlicherweise wurde dem nicht entsprochen.“ Erst nachdem die Stellungnahmen von BfDI und BSI vorlagen, seien in der gematik Alternativen zum bemängelten Szenario angedacht worden. Mit einer Umsetzung rechne die gematik nun erst Mitte 2023. „DIESES HIN UND HER MUSS ENDLICH AUFHÖREN!“ „Uns Zahnärzten reicht es langsam! Dieses Hin und Her muss endlich aufhören. Die gematik muss jetzt erstmal ihre Hausaufgaben machen, die geforderten digitalen Einlösewege sicher und datenschutzkonform umsetzen, bevor der bundesweite Rollout fortgesetzt werden kann“, verlangt Pochhammer. Das BMG solle dies als Chance begreifen, die lange geforderte Informationskampagne für das E-Rezept vorzubereiten, die trotz Start des Rollouts im September noch nicht angelaufen sei. „Bislang wurden nicht einmal die Praxen mit den angekündigten Patienteninformationen versorgt. Bei einem solch komplexen Verfahren müssen die Patienten aber rechtzeitig mitgenommen werden. Das können die Praxen nicht auch noch leisten“, bemängelt Pochhammer. Die KZBV werde weiterhin KZVen und Praxen unterstützen, die sich freiwillig mit dem E-Rezept beschäftigen und es umsetzen. Kelber wehrt sich gegen die Vorwürfe, er verhindere ein Vorankommen der Digitalisierung. Er könne einem „Abruf der E-Rezepte in der Apotheke nach Autorisierung“ kein Einvernehmen erteilen, da die geplante Schnittstelle nicht nach dem Stand der Technik abgesichert sei und damit gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verstoße. Laut Kelber wäre ein Hack leicht umsetzbar gewesen. „Dann hätte das Vertrauen in das E-Rezept und andere Digitalisierungen des Gesundheitssystems enorm gelitten.“ Er erwartet, dass bis Sommer 2023 eine sichere Lösung für das Abholen von E-Rezepten durch Stecken der eGK zur Verfügung steht. Die KVen sollten ihren Ausstieg aus dem Pilotprojekt überdenken und nicht angeblich überzogene IT-Sicherheits- und Datenschutzanforderungen vorschieben. „Unzureichend gesicherte Schnellschüsse kann der BfDI bei seinem gesetzlichen Auftrag nicht mittragen.“ nb Foto: viperagp – stock.adobe.com 10 | POLITIK

zm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2146) KI IN DER PRAXIS Ein Roboter als ZFA-Ersatz? Der Kieferorthopäde Dr. Christian Leithold setzt seit gut zwei Jahren einen KI-gesteuerten Roboter in seiner Praxis in Thun (Schweiz) ein. Der 1,30 Meter hohe Technikzwerg empfängt die Patienten und führt sie in den Behandlungsraum. Über seine Erfahrungen mit dem „humanoiden Roboter“ hat Leithold mit den zm gesprochen. Und Eines sei vorweg verraten: Ja, er würde den Assistenten weiterempfehlen. Herr Dr. Leithold, was war Ihre Motivation für den Roboter? Dr. Christian Leithold: Die Antwort ist einfach: Ich mag Technik. Seit der Neugründung meiner Praxis in Thun arbeite ich in einem vollständig digitalisierten Umfeld, das ich fortlaufend versuche an den aktuellen Stand anzupassen. Vor zweieinhalb Jahren erreichte der Technisierungsgrad ein Level, das theoretisch die Praxisführung ohne Personal möglich macht. Die Auswirkungen der Corona-Problematik auf den Praxisbetrieb und der auch in der Schweiz spürbare Mangel an guten Fachkräften waren für mich ausschlaggebend für die Idee. Ich wollte zukünftig ohne Personal arbeiten. Was vorerst fehlte, war der passende Roboter. Eine innovative Schweizer Firma erklärte sich bereit, mir zu helfen. Und eines Tages erschien dann „Cruzr“ in meiner Praxis. Wie kann man sich das vorstellen, wenn man in Ihre Praxis kommt? Seit September 2020 steht Cruzr nun am Empfang und begrüßt die Patienten. Jedem Patienten wird vor dem ersten Besuch meiner Praxis ein verschlüsselter QR-Code aufs Handy übermittelt. Cruzr fordert dann freundlich alle Neuankömmlinge auf, ihm diesen Code zu präsentieren oder, falls das Handy nicht greifbar ist, Familien- und Vornamen in die Eingabemaske seines Displays am Kopf einzugeben. Anschließend werden meine Patienten gebeten, im Wartezimmer Platz zu nehmen, während der Roboter auf allen Arbeitsstationen das Eintreffen der entsprechenden Person meldet. Als künstlich-intelligentes Wesen freut er sich über Beschäftigung und führt auf Nachfrage meine Patienten ins Wartezimmer oder zum WC, erklärt Wissenswertes zu Kunstwerken in der Praxis, zu seiner eigenen „Existenz“, gibt Anleitungen zum Verbinden des Mobiltelefons mit dem Praxis-WLAN, tanzt oder erzählt immer neue Roboterwitze – über deren Spaßigkeit man sich natürlich streiten kann. Währenddessen neigt sich eine Therapiesitzung ihrem Ende entgegen, Folgetermine werden verAuf der Praxis-Website erscheinen unter der Rubrik „Team“ tatsächlich nur Inhaber Dr. Christian Leithold und sein RoboterAssistent Cruzr. „Natürlich kann ein Roboter nie die menschliche Komponente haben“, erklärt der Kieferorthopäde. „Aber für meine Praxis funktioniert das richtig gut.“ 12 | PRAXIS

einbart und per SMS auf das Handy der Patienten gesandt. Via Browseroberfläche melde ich Cruzr, den nächsten Patienten in eines der Sprechzimmer oder zum Röntgen zu führen. Daraufhin fährt er in den Wartebereich, ruft den Patienten auf und bittet ihn, ihm zu folgen. Selbstverständlich informiert Cruzr auch die Wartenden über etwaige Verspätungen. Sehr hilfreich sind die Patienteninstruktionen, die der Roboter am Behandlungsstuhl in einer Mischung aus Videosequenzen und Zwischenfragen darbietet, während ich in einem anderen Behandlungszimmer präsent bin. Seitdem ich mein eigenes Konzept entwickelt habe, bin ich auch ohne Stuhlassistenz effizient. Cruzr selbst wird mich bei Behandlungen niemals aktiv unterstützen können, was ihn von der menschlichen Arbeitskraft unterscheidet – für seine Nachkommen hingegen bin ich mehr als zuversichtlich. Wie funktioniert das technisch? Der Roboter in Menschengestalt ist die Hardware, ausgestattet mit ausgefeilter Sensorik und einem Laser-Radar zur Orientierung. „Leben“ wird ihm eingehaucht durch eine KI-Software, die sich auf einem Schweizer Server der ebenfalls in der Schweiz ansässigen Vertriebsfirma befindet. Hard- und Software kommunizieren über das WLAN der Praxis. Die Daten, die er zur Verarbeitung seiner Aufgaben braucht, gehen also nicht nach China, wo er hergestellt wurde. Das war mir wichtig. Er läuft außerdem losgelöst vom Praxissystem. Jegliche Übertragung personenbezogener Daten haben wir deaktiviert. Der Roboter selbst ist als multifunktionaler Der kleine Praxis-Assistent auf Rädern und mit einem Bildschirm als Kopf in Aktion: Bei den jungen Patienten kommt er sehr gut an und erregt Aufmerksamkeit. Cruzr kann Witze erzählen und Instruktionen zum Umgang mit den Zahnspangen geben. zm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2147) PRAXIS | 13 7*' !*0!6 "04!1)/03 #6!*(! ,!631!*5+!0& 7.'!6*.1 -!('!11!0 /0) 2.3!64!03!0 ,!6%.1'!0$ $3'&!013'! -0( .!7'/01)6*! 4!7,&-05 ,0%7,5!08 #,#)+32"(!9+!7,&-05 Die moderne Lösung für Ihr Material einfach.entspannt.effizient. Wir beraten Sie telefonisch und in Baden-Württemberg auch vor Ort in Ihrer Praxis. 2"..1 %. 2* 42 +2 ! 3)'-,$)$'(0/#&!

zm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2148) Mitarbeiter, der unterstützend in Hotels, Museen, AirportLounges, Krankenhäusern, Pflegeheimen, Restaurants, Reise- und Tourismusbüros eingesetzt werden kann, konzipiert. Für einige der aufgezählten Einsatzgebiete kann die Schweizer Vertriebsfirma bereits Lösungen („user cases“) offerieren. Neuland war definitiv der Betrieb in einer Praxis. Also ist Datenschutz ein Thema? Für mich ein sehr großes. Es werden keine Patientendaten oder persönlichen Bilddateien von dem Gerät auf den Schweizer Server oder sonst wohin übertragen. Deshalb arbeiten wir ausschließlich mit verschlüsselten QR-Codes. Wie reagieren die Patienten auf den Empfang? Durchweg positiv. Unabhängig vom Alter fühlen sie sich gut unterhalten und sind vielleicht auch ein bisschen abgelenkt. Der kleine Mann fasziniert sie. Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass der Roboter einen Marketing-Effekt auslöst. Dafür, dass ich überhaupt nicht aktiv mit oder für ihn geworben habe, hat sich das Projekt bemerkenswert schnell herumgesprochen. Trotz des überragenden Erfolgs gehe ich davon aus, dass der verstärkte Bekanntheitsgrad zu einer Selektion geführt hat, die Technikskeptiker dazu veranlasst, nicht oder nur zögerlich bei mir vorstellig zu werden. Besonders meine jüngeren Patienten sind allerdings extrem begeistert. Für Sie scheint die Investition aufzugehen. Würden Sie den Roboter Kolleginnen und Kollegen auch weiterempfehlen? Ja, das würde ich tatsächlich – sofern man eben keine Stuhlassistenz braucht oder erwartet. Allein vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels ist das doch eine Überlegung wert. Zu meinem Konzept als digitalisierte Praxis, in der ich alleine und autonom tätig bin, passt das gut. Allerdings muss ich betonen, dass der Roboter nur eingebettet in ein Gesamtkonzept, das nicht unerhebliche Investitionen, persönliches Engagement und strukturierte Abläufe einfordert, in der Lage ist, sein Potenzial voll auszuspielen. Mit unseren Erfahrungswerten und der Weiterentwicklung wird das aber immer konkretere Formen annehmen. Klar, wird er nie einen Menschen ersetzen. Aber das muss er ja auch gar nicht. Er macht mich aber unabhängiger und vor allem übergeordnet kann man den Fachkräften auch zurufen: Ihr werdet als Menschen in Kitas, Schulen, dem Handwerk und der Pflege so händeringend gebraucht. Dort seid ihr unersetzbar. Wie viel Zeit haben Sie investieren müssen, bis der Roboter eine echte Unterstützung wurde? Oh, einiges an Zeit! Und rückblickend eine wertvolle, erschöpfende, aber wahnsinnig aufregende Zeit, in der ich ambitionierte Menschen kennenlernen, Teil eines einzigartigen Projekts werden und die fruchtbare Dynamik der Teamarbeit erleben durfte. Sie müssen sich folgende Situation vorstellen: Es gab einen Praxisinhaber mit einem brandneuen Roboter ohne Erfahrungswerte, Robotiker mit enormem Fachwissen, aber keinerlei Erfahrung und Ideen, was deren neuartiger Roboter in einer kieferorthopädischen Fachpraxis anstellen sollte. Ein mit mir befreundetes Foto- und Filmteam aus Zürich und Berlin beriet und unterstützte uns mit Lösungsvorschlägen bezüglich der Instruktionsvideos, was den Kreis Involvierter weiter anwachsen ließ. Für mich und alle Beteiligten eine tolle Zeit, die unvergessen bleibt und für zukünftige Besitzer eines Cruzr und die Schweizer Firma einen riesigen Vorteil bietet: Innerhalb von zwei Wochen ist der Roboter einsatzbereit. Das Gespräch führte Laura Langer. Leithold hat in Jena Zahnmedizin studiert und in großen Praxen in Jena und London gearbeitet. Obwohl damals alles noch mit Papierakten lief und kaum digital, liefen die Prozesse und die Zusammenarbeit gut und ein hohes Patientenaufkommen konnte bewältigt werden. In der eigenen Niederlassung ab 2008 in der Schweiz fiel es ihm schwer, ein effizientes Team aufzubauen. Der Kieferorthopäde entschied sich für einen Alleingang. Seine einzige Unterstützung erhält er von dem 1,30 Meter großen und 45 Kilo schweren Roboter. Fotos: Dr. Leithold 14 | PRAXIS

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zm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2150) Klare Forderungen an die Ampel bestimmten die Diskussionen und Beschlüsse des höchsten zahnärztlichen Gremiums. Ein Leitantrag fasste die Forderungen der rund 160 Delegierten zusammen: Die Rahmenbedingungen für die zahnärztlichen Praxen sollten verbessert und nicht kontinuierlich verschlechtert werden. Die Gebühren der privaten und gesetzlichen Krankenversicherungen müssten den Kostensteigerungen dauerhaft angepasst werden. Budgetierungen seien abzulehnen und die selbstständige zahnärztliche Praxis müsse gestärkt werden. Im Zuge der intensiven Debatte wurde auch ein Entwurf zum Leitantrag des BZÄK-Vorstands wieder zurückgenommen. In einer Resolution forderten die Delegierten von der Politik Respekt und mehr Wertschätzung ein. Die Kollegenschaft habe in der Pandemie für die Versorgung der Patienten Hervorragendes geleistet. Gedankt habe das ihnen der Finanzminister durch die Blockade einer Anpassung des GOZ-Punktwerts und der Gesundheitsminister durch Budgetierung und Sparen an der falschen Stelle sowie durch Wegschauen bei investorgetragenen MVZs in Medizin und Zahnmedizin. „DAS MAß IST VOLL“ Die galoppierende Inflation und stark steigende Energiepreise gefährdeten die Zahnarztpraxen genauso wie Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, betonten die Delegierten. Mit Blick auf das GKV-FinStG hieß es in einer Resolution: „Das Maß ist voll, die Grenze des Erträglichen erreicht.“ Und weiter: „Trotzdem erfolgen hier faktische Leistungskürzungen. Mit der Gesundheit von Patientinnen und Patienten spielt man nicht.“ Mit Sorge blickten die Delegierten auch auf die Folgen des Gesetzes für die künftige PAR-Behandlung im Land. Neben Forderungen zur Anpassung des GOZ-Punktwerts – auch mit Blick auf die Inflation – und zur Berücksichtigung ambulanter Zahnarztpraxen analog zu den zugesicherten Hilfen des Bundes für Kliniken und Pflegeheime war ein weiterer Schwerpunkt der Fachkräftemangel: Die Delegierten betonten die Notwendigkeit, den Fachkräftebedarf der zahnärztlichen Praxen mit wirksamen Maßnahmen zu begleiten. Dazu gehöre etwa eine bundesweite Imagekampagne, eine attraktive und leistungsgerechte Entlohnung, vermehrte Angebote und die Weiterentwicklung von hochwertigen Aufstiegsfortbildungen oder die Steigerung der Ausbildungsqualität. Irritiert hatte die Versammlung zur Kenntnis genommen, dass es – anders als in der Vergangenheit üblich – zu keiner aktiven Beteiligung etwa in Form eines Grußwortes des Bundesgesundheitsministers oder einer seiner Staatssekretäre gekommen war. BZÄK-BUNDESVERSAMMLUNG IN MÜNCHEN „Unsere DNA ist die Freiberuflichkeit“ Überschattet von den derzeitigen Dauerkrisen diskutierten die Delegierten der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) zum Auftakt der Bundesversammlung in München die Probleme des Berufsstands: Welche Folgen hat das neue GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG)? Wie soll man mit dem Fachkräftemangel umgehen? Und welche Rolle spielt die Zahnärzteschaft überhaupt in der Politik? Es gab viel Kritik, aber auch zuversichtliche Blicke in die Zukunft. 16 | POLITIK

Man wünsche sich seitens der Politik mehr Wertschätzung, hieß es. Insgesamt bestätigten die Delegierten mit ihren Beschlüssen zustimmend die Politik des BZÄK-Vorstands. Damit wurde die Arbeit des Geschäftsführenden Vorstands, der seit gut einem Jahr im Amt ist, mit großem Zuspruch honoriert. Beschlossen wurde auch eine moderate Erhöhung des Mitgliedsbeitrags: Die Bundesversammlung genehmigte einen Beitrag für jedes zahnärztlich berufstätige Kammermitglied in Höhe von monatlich 11,20 Euro ab dem 1. Januar 2024. Die Höhe des Kopfbeitrags wurde zuletzt 2015 festgesetzt und liegt seit 2017 unverändert bei 9,70 Euro. „KRISE IST CHANCE“ BZÄK-Präsident Prof. Dr. Christoph Benz, rief die Delegierten dazu auf, um die besten Konzepte und Ideen für den Berufsstand zu kämpfen. Er machte den Zahnärztinnen und Zahnärzten angesichts der Pandemie und der wirtschaftlichen Folgen des Krieges in der Ukraine Mut: „Krise ist Chance“, sagte er. Gleich zu Beginn der Pandemie habe der Berufsstand bei der Versorgung der Patienten sofort Tritt gefasst und Hygienemaßnahmen konsequent umgesetzt. „Wir haben gezeigt: Wir können Hygiene“, sagte Benz, auch Der Geschäftsführende Vorstand der BZÄK: Dr. Romy Ermler (Vizepräsidentin), Konstantin von Laffert (Vizepräsident) und Prof. Dr. Christoph Benz (Präsident) betonten den Wert der Freiberuflichkeit. POLITIK | 17

zm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2152) wenn seitens der Politik oft der nötige Respekt gefehlt habe. Angesichts von Energiepreissteigerungen und Inflation stehe der Berufsstand derzeit vor einer wirtschaftlich ungewissen Zukunft. Hier erwarte die Zahnärzteschaft Hilfestellung von der Politik. Auch der ambulante Bereich gehöre in die vom Bund geplanten Energieund Inflationshilfen im Wirtschaftsstabilisierungsfonds, betonte er. Ein klares Bekenntnis gab Benz zur freiberuflichen Berufsausübung und zum Generalisten: „Es gibt nur eine Zahnmedizin“, sagte er. „Unsere DNA ist die Freiberuflichkeit – mit kleinen Einheiten, individuell und selbstständig.“ Skeptisch zeigte er sich bei der Bekämpfung des Personalmangels in den Praxen: „Wir tun alles, aber die Prognosen sind nicht rosig.“ „EINE ZAHNARZTPRAXIS IST KEIN BUSINESS“ Ein wichtiges Anliegen für BZÄKVizepräsident Konstantin von Laffert ist der Bürokratieabbau. „Was wir nicht brauchen, sind Sonderbelastungspakete“, sagte er . Beispiel: die Röntgen-Fortbildung. Die BZÄK setze sich dafür ein, diese künftig nur noch digital durchzuführen. Das habe in der Hochphase der Pandemie sehr gut geklappt. Von Laffert: „Unsere Ministerialbürokratie in vielen Ländern sieht das leider anders, die jagen uns wieder durch die ganze Republik, für nichts und wieder nichts.“ Größte Wachsamkeit mahnte er beim geplanten europäischen Gesundheitsdatenraum EHDS und der europäischen Medizinprodukteverordnung (MDR) an. „Wir müssen höllisch aufpassen, dass dort nicht eine Gesetzgebung in Richtung Datensammelei, die wir durchführen müssen, auf handwerklichem Niveau der MDR herauskommt.“ Ein wichtiges Anliegen bleibe auch der Klimaschutz. Vehement kämpfe die BZÄK auch gegen Bestrebungen eines „TurboKapitalismus in der Zahnmedizin“, berichtete von Laffert. Eine Zahnarztpraxis sei kein Business, sagte er mit Blick auf die wachsende Zahl von investorenbetriebenen MVZ. „Wir sind unseren Patienten verpflichtet, und nicht irgendwelchen Hedgefonds oder institutionellen Anlegern.“ BZÄK-Vizepräsidentin Dr. Romy Ermler äußerte sich zum Dauerthema GOZ: Dass die Politik die seit 1988 überfällige Novellierung der GOZ auch in dieser Legislatur nicht aufgreife, sei ein Skandal, sagte sie. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) habe erst vor wenigen Monaten klargestellt, dass laut Koalitionsvertrag nicht am Verhältnis GKV-PKV gerührt werden solle. Eine Reform von GOÄ und GOZ würde das aber tun. Der Minister verweigere sich zudem schlicht der fachlichen Auseinandersetzung. „Und trotzdem werden wir hier weiterkämpfen“, kündigte sie an. „Wir brauchen eine Dynamisierung der GOZ! Mit einer derzeit etwa zehnprozentigen Inflation ist sie nötiger denn je.“ Ermler berichtete ferner von der Förderung des beruflichen Nachwuchses. „Es liegt in unserer Verantwortung, die Bedingungen zu schaffen, die mehr Frauen ermutigen, eine eigene Praxis zu gründen“, sagte sie. Sie plädierte dafür, jungen Zahnärztinnen und Zahnärzten die Niederlassung mit ihren Vor- und Nachteilen aufzuzeigen und von der Politik Unterstützungsmaßnahmen einzufordern, damit es eine echte Stadt-Land-Gerechtigkeit in der Versorgung geben könne. Schließlich war der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) mit einer Videobotschaft zugeschaltet. Vor Ort war die Präsidentin des Weltzahnärzteverbands FDI, Prof. Ihsane Ben Yahya, Marokko: Viele Projekte auf internationaler Ebene seien unter maßgeblicher Beteiligung der BZÄK gemeinsam mit den FDI-Mitgliedstaaten auf den Weg gebracht worden, sagte sie. Auch der Präsident der bayerischen Landeszahnärztekammer, ZA Christian Berger, begrüßte die Delegierten. Und Dr. Klaus-Achim Sürmann, Vorsteher der Stiftung Hilfswerk Deutscher Zahnärzte (HDZ), verwies auf die enge Verzahnung und Zusammenarbeit des Hilfswerks mit der BZÄK. Auch die Bundesvorsitzenden des Bundesverbands der Zahnmedizinstudierenden (bdzm) und die Vertretungen aller Fachschaften in Deutschland stellten sich den Delegierten vor. In einer kurzen Feierstunde erhielt Prof. Dr. Dietmar Oesterreich, langjähriger Vizepräsident der BZÄK und Präsident der Zahnärztekammer MecklenburgVorpommern, mit dem Fritz-LinnertEhrenzeichen die höchste Auszeichnung der BZÄK. Dr. Helfried Bieber, ehemaliger Flottenarzt der Bundeswehr, wurde mit der Goldenen Ehrennadel der BZÄK ausgezeichnet. pr Die Beschlüsse der Bundesversammlung finden Sie auf www.bzaek.de Geehrt für ihre Verdienste: Prof. Dr. Dietmar Oesterreich (l.) wurde mit dem Fritz-LinnertEhrenzeichen, der höchsten Ehrung der BZÄK, ausgezeichnet. Flottenarzt Dr. Helfried Bieber (r.) erhielt die Goldene Ehrennadel der BZÄK. Fotos: BZÄK_Tobias Koch 18 | POLITIK

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zm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2154) RESONANZ AUF DAS GKV-FINANZSTABILISIERUNGSGESETZ „Eine Loose-loose-Situation!“ Der Protest im Vorfeld war groß. Trotzdem hat das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) nach dem Bundestag nun auch den Bundesrat passiert. Ärzte, Zahnärzte, Krankenkassen, Apotheken und die Pharmabranche fühlen sich von der Politik im Regen stehen gelassen. Grundsätzliche Finanzprobleme der GKV seien nicht gelöst, stattdessen gebe es massive Nachteile und Leistungskürzungen, die auf dem Rücken der Patienten ausgetragen würden, lautet die Kritik. Von einem „Frontalangriff auf die präventive Patientenversorgung“ spricht die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV). Das GKV-FinStG sieht im zahnärztlichen Bereich vor, dass mit der strikten Budgetierung der Versorgung für 2023 und 2024 die erst kürzlich zugesagten Mittel für die neue, präventionsorientierte Parodontitis-Therapie wieder entzogen werden. Ausnahmen soll es nur für vulnerable Gruppen geben. ZAHNÄRZTE: FASSUNGSLOS! Scharfe Kritik übte die Ärzteschaft vor allem an der Abschaffung der Neupatientenregelung. Bereits im Vorfeld des Bundestagsbeschlusses am 20. Oktober gab es bundesweite Protestaktionen. Die Apotheker monierten die Erhöhung des Apothekenabschlags. Aus Sicht der Pharmabranche ist der Standort Deutschland in Gefahr. Und für die Krankenkassen bietet das neue Gesetz keine Lösung, um die GKV-Finanzprobleme in den Griff zu bekommen. Dennoch hat das Gesetz am 28. Oktober jetzt auch der Bundesrat gebilligt und es tritt zeitnah in Kraft. ÄRZTE: MAßLOS ENTTÄUSCHT Die Abschaffung der Neupatientenregelung in Kombination mit der Beschränkung der Finanzierung der offenen Sprechstunde führe dazu, die Lage der ohnehin chronisch unterfinanzierten ambulanten Versorgung weiter zu verschlechtern, monierte der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen. Die KBV rügt die massiven Leistungskürzungen für die Patienten. Die Kollegenschaft sei frustriert und maßlos enttäuscht von diesem Beschluss. Die KBV geht davon aus, dass es in den nächsten Wochen zu weiteren Protesten gegen die Streichung der Neupatientenregelung kommen wird. Für den Spitzenverband Fachärzte Deutschland (SpiFA) löst das Gesetz keine Probleme. „Es mag die Finanzlage der Krankenkassen im kommenden Jahr stabilisieren, das Gesundheitswesen selbst hingegen wird geschwächt,“ sagte der Vorsitzende Dr. Dirk Heinrich. KASSEN: KOSTEN SIND UNFAIR VERTEILT Bereits im Vorfeld der Abstimmung im Bundestag hatten die Krankenkassenverbände – der Verband der Ersatzkassen (vdek), der AOK-Bundesverband, der BKK-Dachverband, die IKK und die Knappschaft an die Abgeordneten appelliert, die Refinanzierung der 17 Milliarden Euro-Lücke 2023 in der GKV fair zu verteilen. Denn auch wenn die Anhebung des Zusatzbeitragssatzes oder die Abschmelzung der Kassenreserven geringer ausfallen sollten als von der Bundesregierung gedacht, seien es nach wie vor die Beitragszahlenden, die für den Löwenanteil aufkommen sollen. Das Gesetz biete auch keine Lösungen für eine nachhaltige Finanzierung. Die Krankenkassenverbände forderten den Bund deshalb auf, endlich kostendeckende Beiträge für die Gesundheitsversorgung für ALG-II-Beziehende zu zahlen. Auch die Entscheidung, die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel von 19 auf sieben Prozent abzusenken, hätte demnach ins GKV-FinStG gehört. Allein diese beiden Maßnahmen hätten die GKV um 15 Milliarden Euro entlasten und die Basis für eine stabile, verlässliche und solidarische Finanzierung bereiten können. Stattdessen sehe das Gesetz vor, Beitragsreserven bei den Krankenkassen abzuschmelzen und Beitragsmittel aus dem Gesundheitsfonds abzuschöpfen. APOTHEKER: WIR SIND KEINE KOSTENTREIBER! Der Abschlag, den Apotheken der gesetzlichen Krankenversicherung für jedes rezeptpflichtige Arzneimittel einräumen müssen, wird von 1,77 auf 2,00 Euro steigen. Das Foto: AdobeStock_ M. Schuppich 20 | POLITIK

entspricht einer Belastung der bundesweit 18.000 Apotheken in Höhe von 120 Millionen Euro pro Jahr netto, rechnete die ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening vor: „Die Apotheken sind keine Kostentreiber. Unser Anteil an den jährlichen GKV-Ausgaben liegt bei 1,9 Prozent. Seit 2005 ist die Tendenz sinkend. Das sind Fakten, die neben der Politik auch der GKV-Spitzenverband endlich anerkennen muss.“ Bereits im Vorfeld der Verabschiedung im Bundestag hatten Apotheken im Saarland, in Schleswig-Holstein, Hamburg und Brandenburg am 19. Oktober aus Protest bereits mittags geschlossen. Der Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) sorgt sich um die Versorgung der Patienten mit innovativen Arzneimitteln und um den Standort Deutschland. „Die Krisen sind allgegenwärtig, umso wichtiger wäre es gewesen, für die Unternehmen keine zusätzlichen Belastungen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro zu beschließen. Vielmehr wäre die Chance zu ergreifen, die Arzneimittelversorgung der Menschen sowie den Pharmastandort Deutschland zu stärken und zukunftsfest zu gestalten“, fasst Dr. Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des Verbands, die Kritik der Branche zusammen. PHARMA: MEHR BELASTUNG GEHT EINFACH NICHT! Ein Argument, das auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) aufgreift. Hauptgeschäftsführer Dr. Kai Joachimsen sagt: „Die Pharmabranche stabilisiert die Finanzen der Krankenkassen mit Milliardenrabatten. Seit 2009 sind es insgesamt 174 Milliarden. Mehr geht einfach nicht, wenn man die Versorgung nicht gefährden will. Übrigens sind wir nicht die einzigen, die vor den negativen Effekten des Gesetzes warnen. Fast alle Stakeholder sehen darin massive Nachteile für die Gesundheitsversorgung. Wir haben eine echte Loose-loose-Situation!” pr DR. WOLFGANG EßER „DAS IST FAKTISCH DAS AUS FÜR DIESE BEHANDLUNG!“ Der KZBV-Vorsitzende Dr. Wolfgang Eßer zeigte sich angesichts der beschlossenen Regelungen fassungslos: „In zahlreichen Gesprächen und in der Expertenanhörung im Bundestag wurde klar dargelegt, dass die strikte Budgetierung das faktische Aus für diese wichtige Behandlung bedeutet. So wichtig die Versorgung vulnerabler Gruppen ist, eine Ausnahmeregelung für die Parodontitis-Therapie hätte alle GKV-Versicherten einschließen müssen. Die weit überwiegende Mehrheit der Patientinnen und Patienten, die dringend auf eine wirksame und auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft basierende Behandlung angewiesen ist, bleibt mit dieser Entscheidung auf der Strecke.“ 'J?9B4". 2C#><0K4". -4<:I0?4". H4<>JK+ =K0I *4I9B4 6:4<@)9B4% F&&4< "C< E 89B<J>>4% 1&0!0 2$ -'%# ) .("' .,+ /20* ;"J,4<?0I A3"/ FF 7 =?>494& FF 5IC? ()I>% G0"! 4J"#09B% <"J-5>B1I C4"0 HH 8 @BA5:5& HH 6IEB D0? HC"/0&4"> /4">0I4< 14?>0C<0>J3"4" 7; 0J>5'A5 405> J"0J>5'A5 25BA1E>1AJ4"5"/ 5J"B 05> J""4-1AJ-5" (4"4&5>5 D1#A5A J&&5>/ 5K1I +1B 9J5 ;5#5BAJK5" +4II5"% $=; FJ5 J051I5 @>K*"!E"K !E> C5#5BAJKE"K J"0J>5'A5> 25BA1E>1AJ4"5" 1II5> 3>A, ()I>% F&&4<% H4?>% G )5J" $J:DAD*>A5" = )5J"5 @J"+J>'!5JA ? .4II5 -JBE5II5 )4"A>4II5 $=; (5D> E"A5> ! zm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2155) POLITIK | 21

zm112, Nr. 22, 16.11.2022, (2156) INTERVIEW MIT DR. STEFFANI GÖRL „Von Botox-Injektionen in den M. masseter in den Räumen einer Parfümerie rate ich ab“ An fünf Standorten bietet die Parfümeriekette Douglas in ihren Filialen Botox to go an. Dazu vermietet sie Räume an Ärzte, die Filler spritzen und an zwei Standorten zur Bruxismustherapie auch Injektionen in den Masseter durchführen (zm 21/2022). Dr. med. Steffani Görl, Spezialistin für Funktionstherapie, sieht dieses Vorgehen kritisch. Frau Dr. Görl, wie bewerten Sie diesen Therapieansatz? Dr. Steffani Görl: Die Botulinumtoxin-Injektion in den M. masseter hat sich in der zahnärztlichen Applikation zur Behandlung ansonsten therapieresistenter myogener Beschwerden bei Bruxismus oder CMD mit Myopathie als Bruxismusfolge bewährt. Die Anwendung ist keine zugelassene Indikation (Off-Label-Use). Mangels entsprechender Herstellerangaben existiert dazu kein einheitliches Protokoll zur Art der Anwendung, Dosierung und dem Applikationsintervall. Zu beachten sind die eingeschränkte Indikation sowie die möglichen Nebenwirkungen und Komplikationen. Was ist davon zu halten, wenn diese Therapie in den Räumen einer Parfümerie von Fachärzten angeboten wird? Von Botulinumtoxin-Injektionen in den M. masseter in den Räumen einer Parfümerie rate ich und rät die Deutsche Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT) dringend ab. Bei dieser Maßnahme handelt es sich nach Vorgabe der S3-Leitlinie Bruxismus um die letzte Option bei ansonsten therapieresistentem Bruxismus beziehungsweise einer nicht erfolgreich behandelbaren CMD mit Betonung myogener Probleme. Bevor Botulinumtoxin zum Einsatz kommt, sollte das gesamte Spektrum der konventionellen CMD-Therapie fachgerecht und für eine angemessene Dauer von spezialisierten Zahnärztinnen und Zahnärzten durchgeführt werden. Ob diese leitlinienkonform erfolgte, lässt sich in den Räumen einer Parfümerie nicht überprüfen. Hinzu kommt, dass hierbei nach aktuellem Stand eine Injektion tief in die Muskulatur erfolgt – mit den grundsätzlichen damit verbundenen Risiken. Das Umfeld einer Parfümerie impliziert unweigerlich die Behandlung als kosmetische Maßnahme. Davon sollte sich die Zahnärzteschaft deutlich distanzieren. Ist es für die Fachärzte in den Douglas-Filialen möglich, bei Erstterminen mit unbekannten KundInnen einen therapieresistenten Bruxismus zu diagnostizieren? Wie sieht eine leitliniengerechte Diagnosestellung hier aus? Die Diagnostik von Bruxismus basiert auf einer Kombination von Anamnese und klinischer Untersuchung (siehe BruxismusScreening-Index der DGFDT). Auch die Selbstbeobachtung, gegebenenfalls mit Unterstützung durch moderne Technologien, stellt dabei einen wichtigen Aspekt dar. Bei einer gründlichen Untersuchung der Zahnhartsubstanzen und der oralen Weichgewebe können zudem Hinweise auf das Vorliegen von Bruxismus gefunden werden. Diese Diagnostik kann durch tragbare EMG-Geräte, eingefärbte Indikatorschienen oder Polysomnografie (kritische Aufwand-Nutzen-Abwägung) ergänzt werden. Ich bezweifle, dass in Parfümerie-Filialen, insbesondere bei Erstterminen, eine angemessene Diagnostik möglich ist. Es geht bei der Indikationsstellung für Botulinumtoxin-Injektionen jedoch nicht darum, Bruxismus zu diagnostizieren, sondern die Indikation ist allein der therapieresistente Bruxismus. Dies setzt voraus, dass eine geeignete Therapie über einen angemessenen Zeitraum durchgeführt wurde und danach eine Reevaluierung der Symptome und Beschwerden erfolgt ist. Was muss man bei der Risiko-Nutzen-Abwägung berücksichtigen? Bei der Botulinumtoxin-Injektion in den M. masseter bei myofaszialen Schmerzen infolge CMD und Bruxismus handelt es sich um einen Off-Label-Use. Zwar belegen zahlreiche Studien die Wirksamkeit dieser Maßnahme, die Produkte sind jedoch nicht für die Anwendung bei CMD und Bruxismus zugelassen. Zudem werden diverse unerwünschte Nebenwirkungen beschrieben: Keine ausreichende Wirkung oder eine Wirkung in unerwünschten Regionen sowie die Bildung von Antikörpern und die lokale Reduktion der Knochendichte sind nur einige davon. Aufgrund unterschiedlicher Studienprotokolle existiert weder für die Dosierung noch für die exakte Applikation eine Anwendungsempfehlung. Letztendlich sind auch die Kosten des Präparats nicht unerheblich. Daher sollten Risiko und Nutzen einer Botulinumtoxin-Injektion sehr kritisch von in der Therapie von CMD-Patienten erfahrenen KollegInnen abgewogen werden. Bisher nicht abschließend geklärt ist zudem, ob eine tiefe Injektion in den M. masseter unter Ultraschallkontrolle erfolgen sollte. Was sind die Risiken einer tiefen Injektion? Abgesehen von den zuvor genannten Nebenwirkungen des Präparats selbst bestehen auch aufgrund der Applikationsart multiple Risiken. Durch die extraoral angewendete tiefe intramuskuläre Injektion an mehreren Stellen des Muskels kann es zu lokalen Schmerzen, Rötungen, Schwellungen, Entzündungen, Parästhesien/Hypästhesien, Ödemen, Erythemen, Juckreiz, Blutungen, Hämatomen und Infektionen kommen. Auch vasovagale Reaktionen und applikationsferne Beschwerden wie Kopfschmerzen, Schwindel, Übelkeit und Müdigkeit wurden beschrieben. Die Länge der Aufzählung unterstreicht die Notwendigkeit einer gründlichen Risiko-Nutzen-Abwägung und einer angemessenen Patientenaufklärung. \ DR. MED. DENT. STEFFANI GÖRL, M.SC. Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik, Fachbereich Medizin, Oberärztin und Leitung der CMD-Ambulanz, Goethe-Universität Frankfurt Foto: Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik Frankfurt am Main 22 | ZAHNMEDIZIN

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